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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein
Autoren: authors_sort
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zier dich nicht, Mädchen.« Meine Tante wedelte mit dem Brief vor meiner Nase. »Mit vollem Bauch lassen sich Nachrichten besser verdauen.«
    »Sunt satulă   …«, log ich. Weil Gicu dabei war, sprachen wir rumänisch.
    Die Zwillinge und der Großvater waren nicht zu Hause, sie standen immer noch wegen Eiern an. Kein Mensch wusste, ob das Gerücht stimmte und ob wirklich Eier geliefert worden waren oder erst nächste oder erst übernächste Woche eintreffen würden.
    »Wie konnten sie mir das antun?«, platzte es aus mir heraus.
    »Lies erst einmal den Brief.«
    »Ich will nichts davon wissen.« Mit Tränen in den Augen drehte ich mich zur Wand. Dabei berührte ich den Duschvorhang, der zur Seite geschoben worden war. Er roch spakig. Die aufgedruckten Hasen hatten sich durch die schwarzen Schimmelränder in sechsfüßige und zweimündige Monster verwandelt. Da fiel mir wieder ein, dass der Tisch kein Tisch war, sondern eine Badewanne, auf die nach dem wöchentlichen Badegenuss ein langes Brett montiert wurde. Mit großen rostigen Zwingen, die Hummerscheren glichen. Ich wollte weg.
    »Warum bist du dann gekommen?«
    Gicu hatte recht. Ich zuckte die Schultern und fing erneut an zu weinen.
    Geduldig warteten die beiden, bis ich fertig war. Sie sagten nichts, sie taten nichts. Ich fand das großartig, aber ich verachtete sie auch. Sie waren so anders, so wenig herzlich, so unnahbar.
    »Der Brief«, stotterte ich, »warum kam er zu euch?«
    »Warum wohl, sie wollten nicht, dass du alleine bist, wenn du es erfährst. Wir sind jetzt deine Familie.« Mit einem Seitenblick schaute sie zu Gicu, der immer noch am Herd stand, obwohl es längst kein Brot mehr zum Wenden gab. Es aß ja doch niemand. Ich las mit angehaltenem Atem.
     
    Mein liebes Kind,
    ich kann ohne Deinen Vater nicht leben. Er war zuerst da. Dann kamst Du. Er kommt an erster Stelle, auch wenn ich Dich sehr liebe.
     
    Erstaunt schaute ich von dem Brief auf. Es roch plötzlich intensiv nach Wurst. Gicu war an die Kredenz herangetreten und fingerte an den Gläsern herum, als wolle er Ordnung schaffen. Seine linke Backe beulte sich leicht aus, doch er kaute nicht, sondern beobachtete mich.
     
    Ich bin erst angekommen und muss sehen, wie es weitergeht. Wir werden sofort einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen. Du wirst bald nachkommen.
     
    »Geld«, sagte ich laut in das fast geräuschlose Kauen von Gicu hinein. »Wovon soll ich leben?«
    »Hat sie nichts geschrieben?«, wollte meine Tante wissen.
    »Ich hab noch nicht fertig gelesen.«
    Gicu holte tief Luft, aus einer Zahnlücke drang ein Zischen.
    »Dann tu es, du Schaf!«
    Halbherzig brachte Erikatante ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. In der Luft lag etwas, das ich von zu Hause nicht kannte, eine Unehrlichkeit, die mir Angst machte. Erikas Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt, sie bemerkte meinen Blick und zwinkerte mir kameradschaftlich zu.
     
    Du kannst der Eri vertrauen. Sie wird Dir helfen. Bleib in unserer Wohnung, so lange es geht. Wenn jemand Fragen stellt, sag nichts. Die Briefe schicke ich weiterhin an die Eri.
     
    Ich konnte nicht mehr weiterlesen. Mein Herz klapperte lauter als ein Traktor. Ratatata, machte mein Traktorenherz, und ich hatte den Eindruck, dass in meinem Innern Dinge passierten, für die sich ein Arzt interessiert hätte.
    Erikatante nahm mir den Brief aus der Hand.
    »›Kopf hoch, mein Engel‹«, las sie laut vor. »›Wir lieben dich. Viele Pussi, Deine Mamusch‹.«
    Papier knisterte, der Brief kam in den Umschlag zurück. »Das mit dem Geld wird sich regeln«, verabschiedete mich die Erikatante.
     
    Ich stand schon an der Tür, als die Zwillinge mit leeren Einkaufsnetzen heimkamen. Lachend boxten sie sich in die Seite, während sie in die Wohnung stolperten. Es gab keinen Flur, man stand gleich in der Küche, die früher ein Badezimmer gewesen war. Das Haus hattemeiner Urgroßmutter gehört, die es teilweise vermietet und an einen Gastwirt verpachtet hatte. Als die Kommunisten das Haus beschlagnahmten und sie auf die Straße setzten, erlitt meine Urgroßmutter einen Herzinfarkt. Ihre Tochter hat diesen Schock nie überwunden. Trotzdem ist sie und später wiederum ihre Tochter Erika in dem Haus wohnen geblieben. Sie hatten einen anderen Nachnamen als meine Urgroßmutter, sonst wären auch sie vertrieben worden.
    Adi, der größere der Zwillingsbrüder, rempelte mich an, quietschte dann wie ein Kleinkind.
    »Ach, du.«
    Ich kann Kleinkinder nicht
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