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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein
Autoren: authors_sort
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stieg ich in einen Trolleybus um, das letzte Stück musste ich zu Fuß zurücklegen.
    Staunend betrachtete ich das Straßenpflaster. Ich sah die Löcher im Trottoir. Ich sah die Kippen, die bis auf den letzten Millimeter abgeraucht waren. In der Karl-Marx-Straße entdeckte ich eine halb verweste Ratte im Gullydeckel. Sie muss fett gewesen sein, war stecken geblieben. Ich dachte an meinen Vater, auch er war fett geworden. Das letzte Foto zeigte einen dicken Mann neben einem frisch polierten Mercedes. Die beiden sahen aus wie Freunde. Mein Tata lächelte, wie Westpolitiker lächeln, mit blitzenden Zähnen. In seinen Paketen hatten nur Lebensmittel Platz gefunden. Vielleicht weil seine Anstellung als Lehrer nicht geklappt hatte und er eine Ausbildung zum Altenpfleger machen musste. Meine Mutter würde einfühlsamer sein, hoffte ich, Geld hin oder her. Immer noch begleitete mich das Wort
Westjeans
wie ein Schatten. Dabei hing keine Sonne über mir, nur die Erinnerung an die morgendliche Helligkeit.
     
     
    Als wäre ich zwei Schritte vor, einen zurück gegangen, kam ich erst eine Stunde später bei der Erikatante an. Ein braunes Holztor öffnete sich zu einem Gang, an dessen Ende man einen Innenhof erahnen konnte. Treppen führten nach rechts, führten nach links. Wohnungseingänge überall. Rumänen und Sachsen wohnten hier. Duran neben Schuster, Mederus neben Iliescu. Ich klopfte an die Tür, doch niemand öffnete. Von der Nachbarin erfuhr ich, dass es in der Alimentara Eier geben würde. Alle hatten sich mit Netzen aufgemacht, wie zum Fischfang. Wenn man es schaffte, drei oder sogar vier Familienmitglieder im vorderen Bereich der Schlange zu platzieren, konnte man auf eine ansehnliche Zahl von Eiern kommen.
    »Verfluchter Körper.« Die Alte zeigte auf ihren bandagierten Fuß, »ich kann nicht stundenlang stehen, sonst wäre ich auch gegangen. Dabei habe ich mir schon lange abgewöhnt, nach dem alten Liesskochbuch zu kochen. ›Man nehme sechs Eier‹, wer hat das heutzutage schon.« Mitleidheischend sah sie mich an, doch ich widerstand ihren listigen Augen und tat, als würde ich nicht verstehen.
    »Dann warte ich.« Entschlossen drehte ich mich um.
    In dem kleinen Innenhof stand eine Bank. Doch sie war bereits besetzt. Eine Horde Kinder hatte sich darauf und davor zusammengerottet. Ihren erschrockenen Blicken zufolge taten sie etwas Verbotenes. Wispernd unterhielten sie sich in drei Sprachen. Rumänisch, Ungarisch und dem siebenbürgischen Dialekt, den meine Mutter manchmal benutzte.
    Gigi war der Anführer. Er hatte Zigarettenkippen gesammelt, die Kleinen mussten die Filter entfernen.Anschließend wickelte er den Tabak in Zeitungspapier. Er stellte sich dabei sehr geschickt an. Hinter der Wäscheleine stehend rauchten und husteten, husteten und rauchten sie. Auch mir boten sie die Zigarette an, aber ich lehnte ab. Aus dem Alter war ich raus. Warum lange herumreden: Ich fühlte mich erwachsen.
     
     
    Der Küchentisch war gedeckt. Schwarzbrot, Ikre, Paprika, Paradeis. Keine Wurst, keine Butter. Erikatante ist die einzige noch lebende nahe Verwandte meines Vaters. Tata und sie sind Zwillinge, trotzdem gehörte sie nicht zu seinem Kränzchen.
    »Die da ist mit der Schere auf mich los«, hatte er oft erzählt, »hat mir büschelweise Haare ausgerissen. Ich habe die Dresche bekommen, weil sie jämmerlich geheult hat. No, war sie kleiner als ich.« Außerdem hatte sie einen Rumänen geheiratet.
    Erikatante zog an einer billigen Zigarette und lachte ihn aus. Den riesigen Busen schob sie dabei nach vorn, als wolle sie ihn als Waffe einsetzen. Oft parkte sie den Aschenbecher auf ihren Brüsten. Auch wenn sie lachte, geriet er nicht ins Wanken. Unter dem Busen wölbte sich eine Zwischenwulst, erst danach kam der Bauch. Die Vorstellung, dass sie und mein Vater in meiner kleinen, vor Kurzem verstorbenen Großmutter Platz gefunden hatten, amüsierte mich.
    »So greif doch zu«, Gicuonkel stand am Herd und wendete die Brotscheiben, die auf der gusseisernen Herdplatte aufgebacken wurden. Er hatte bei der Post gearbeitet. Aber weil er sich einen staatsfeindlichen Witz in Versform nicht hatte merken können und dieNotiz während einer Kontrolle in seinem Spind gefunden worden war, musste er jetzt Hausmeisterarbeiten erledigen und verdiente nur noch die Hälfte. Gicu behauptete zwar, dass er nicht wegen des Zettels, sondern wegen eines dummen Vorgesetzten in Ungnade gefallen sei, doch keiner aus der Familie glaubte ihm.
    »Ja,
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