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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein
Autoren: authors_sort
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Plattenspieler.«
    »Das war ich nicht.«
    »Wie sie lügt, es ist unglaublich. Nicht rot, sondern lila wird sie dabei.«
    Ein Blick zu den Zwillingen bewies, dass es ihre Gesichter waren, die sich dunkel verfärbt hatten.
    »Was willst du eigentlich von mir?« Ich war aufgesprungen, was ein Fehler war. Meine Beine zitterten.
    »Keinen Ärger. Die Gäste, die man nicht bemerkt, sind mir die liebsten«, plusterte er sich auf.
    Nun reichte es auch meiner Tante. Auch sie erhob sich, versuchte zu beschwichtigen, versuchte einzulenken. Nichts sei geschehen, absolut nichts, betonte sie, und ihre Stimme nahm jene Festigkeit an, die zu ihrer Körpermasse passte. Doch dann holte mein ehemaliger Onkel zu einem neuen Schlag aus und beendete jede mögliche Versöhnung.
    »Aber sie frisst für zwei, dabei bekommen wir nur für eine bezahlt und das auch noch sehr knapp. Hast du gehört, knapp. Ihre Eltern sind Geizhälse. Sie sitzen wie die Maden im Speck, und uns haben sie vergessen.« Mit einem Ruck wandte er sich wieder mir zu. Seine Achselhaare stachen wie borstige Stacheln unter den Rändern seines Unterhemdes hervor. »Hast du schon ein Paket bekommen, hast du? Ich jedenfalls hab keins gesehen?«
    »Mamusch ist erst seit ein paar Wochen weg. Sie wird Pakete schicken, sie wird Geld schicken.«
    »Hoffentlich bald, sonst   …«
    »Was sonst?«
    »Sonst kannst du zu deiner Großmutter, der Hure, ziehen, kapiert. Die weiß sowieso nicht, wohin mit ihrem Zaster.«
    Es war heraus, das lang gehütete Familiengeheimnis. Ein Zischen machte die Runde am Tisch. Erst zischte meine Tante, dann stieß der Großvater, von dem ich angenommen hatte, dass er kaum etwas verstand, Luft zwischen einer seiner Zahnlücken aus. Am Schluss entließ sogar mein ehemaliger Onkel einen merkwürdig dumpfen Laut.
    So erfuhr ich bei einem verpatzten Abendessen, drei Wochen nachdem ich zu fast hundert Prozent Vollwaise geworden war, dass eine meiner Großmütter, die den Beinamen »die Hure« trug, noch lebte, dass sie in Kronstadt lebte und dass sie reich war.
     
    Noch am selben Abend, als sich die Ränder der Altstadt unter der Hohen Zinne duckten, stand ich mit meinem hässlichen Koffer vor ihrer Tür. In der Burggasse 67,keine dreihundert Meter von der Schwarzen Kirche entfernt. Ich würde morgens zu Fuß in die Schule gehen können.
     
     
    An dem rostigen Metalltor hing ein Schild. George & Hertha Busac, entzifferte ich. Das Schild, aus massivem Holz, war groß und hässlich, die Schrift teilweise abgeblättert. Vom Haus sah man nichts, es war das einzige in der Reihe, das nach hinten versetzt lag.
    Obwohl ein Hund bereits beim ersten Klingeln zu bellen begann, dauerte es lange, bis sich Schritte näherten. Ein Schlüssel klapperte im Schloss, dazu fluchte eine Frauenstimme.
    »Futute.« Dann eine kurze Pause und große Augen. »No seich, wie hei kit.«
    Eine aufgetakelte Alte nahm mir den Koffer ab, hieß mich das Tor schließen und ging voraus, über einen schmalen Pfad, auf das zweistöckige Gebäude zu. Ein Schmuckstück, von dem ich jedoch nur wenig erkennen konnte. Die Fensterläden waren grün gestrichen, und an der Hauswand wucherte Wein.
    »Kamm schien«, winkte die Fremde mich heran und hielt mir die Haustür auf. Nach meinem Namen und dem Grund meines Erscheinens hatte sie nicht gefragt. Behutsam, als vermutete sie Eier in dem Koffer, stellte sie mein Gepäck neben einer Kredenz im Flur ab und trat durch eine offen stehende Tür.
    »Hei kost ta awer net bleiwen.«
    Die Hure sprach Sächsisch. Es wäre besser gewesen, ich hätte den Dialekt nicht verstanden. Sie hatte mich gerade ausgeladen. Wie angewurzelt blieb ich stehen.
    »Hoi, bist du beleidigt? Immerhin hast du Kurasch.« Sie lachte. »Nenn mich Puscha.«
    Hertha Busac, die Puscha genannt werden wollte, war 64   Jahre alt, als ich sie kennenlernte, doch ihr sorgfältig frisiertes Haar, das farbenprächtige Kleid, vielleicht auch ihr Gehabe, ließen sie jünger erscheinen. Sie trug an jedem Handgelenk zwei Armbänder, und ihr Hals war mit zahlreichen Perlen- und Silberketten behängt.
    Obwohl es spät war, hatte sie Besuch. Mehr Weingläser standen auf dem Küchentisch, als Personen anwesend waren. Ein Mann, alt, ein Mann, jung, waren die letzten Gäste. Vater und Sohn, wie ich erfahren sollte. Puscha stellte mich als ihre Enkeltochter vor. Woher sie mich kannte und warum sie über mein Erscheinen nicht verwundert schien, verriet sie nicht. Es wurde Deutsch und Rumänisch
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