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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein
Autoren: authors_sort
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meinte, stand auch er auf. Wir zogen uns die Jacken aus, hängten sie an den Kartenständer, dann stellten wir einen Tisch nach dem anderen auf. Ich gab die Zwischenräume vor und hängte die Stühle auf die Tischplatten. Aus einem Nebenraum holten wir Besen und Kehrschaufel und begannen, den Boden zu fegen.
    »Seit gestern weiß ich, wie der Kleiderschrank von Eleana Ceauşescu aussah«, erzählte Petre, während ich mich bückte, um die Glasscherben aufzufegen. »Sie haben Bilder im Fernsehen gezeigt. Also, ihr Kleiderschrank lag entlang der Calea Mosilor. In der Villa Calea Mosilor 122 hatte sie ihre Schuhe untergebracht, in der Villa Calea Mosilor 124 ihre Tagesgarderobe und in der Villa Calea Mosilor 126   –   128 ihre Abendroben.«
    »Das ist ein uralter Witz. Sein Bart reicht von Kronstadt bis zum Schwarzen Meer.«
    »Ja, aber seit gestern weiß ich, dass er wahr ist.«
    Das Schulhaus hatte sechzehn Zimmer. Als die schweren Glocken der Schwarzen Kirche viermal anschlugen, waren wir fertig.
    »Ich glaube, ich verschiebe die Parisreise auf später«, gab Petre auf dem Heimweg bekannt, »wie du weißt, war ich ein miserabler Revolutionär, aber zum Aufräumen könnte ich doch taugen, was meinst du?«
    Ich nickte und spürte der Bitterkeit in meinen Gedanken nach. Wie ich ihn beneidete. Er hatte ein Ziel, während ich keine Ahnung hatte, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Er wollte nicht im alten und nicht im neuen Dreck leben, war bereit, dafür zu kämpfen, aber wo war meine Aufgabe?
    Schweigend überquerten wir die Burggasse. Petre war in Gedanken versunken, unerreichbar für mich, dabei hätte ich ihn so vieles fragen wollen. Wie Wasser war die Müdigkeit von mir abgeperlt. Das erste Licht des Tages verfing sich in den abblätternden Fassaden der Patrizierhäuser. Kronstadt würde sich verändern. Viele Deutschstämmige würden auswandern. Alle. Nur ein paar Alte würden zurückbleiben. Puscha zum Beispiel. Und ein paar Junge, um sie zu umsorgen. Ich zum Beispiel.

Glossar
    Arde
    Paprika
     
    Bizykel
    Fahrrad
     
    Buchteln
    mit Marmelade gefülltes Hefegebäck
     
    Burduf
    Schafskäse
     
    Burezzen
    Pilze
     
    Ciorbă de perişoară
    gesäuerte Suppe mit Fleisch-Reisklößchen
     
    Drăguţa
    Liebling
     
    Eiskasten
    Kühlschrank
     
    Eistasche
    Kühltasche
     
    Gelse
    Stechmücke
     
    Gogoşar
    eingelegte grüne Tomaten
     
    Greiwenhiewes
    salziges Speckgebäck
     
    Hetschenpetschmarmelade
    Hagebuttenmarmelade
     
    Ikre
    Fischrogencreme
     
    kaptschulig
    verrückt
     
    Karfiol
    Blumenkohl
     
    Kasten
    Schrank
     
    Keff
    Fest, Party
     
    keffen
    feiern
     
    kottern
    suchen (umgangssprachlich)
     
    Kredenz
    Anrichte
     
    Kren
    Meerettich
     
    Krispindel
    sehr hagerer Mensch
     
    Kukuruz
    Mais
     
    Liesskochbuch
    Martha Liess, Siebenbürgisches Kochbuch
     
    Marillenkompott
    eingelegte Aprikosen
     
    Paradeis
    Tomate
     
    Paraplutch
    bestimmter Teil einer Gesellschaft oder Gemeinschaft, negativ gemeint
     
    Pischalter
    Windelalter
     
    Piftelle
    Hackfleischbällchen
     
    Piteşti
    Gefängnis für politische Gefangene
     
    pletschen
    schlagen
     
    Reindel
    Kochtopf
     
    Schwarze Kirche
    bedeutendste gotische Kirche Südosteuropas
     
    Sekuritate
    berüchtigter rumänischer Geheimdienst
     
    spritzen
    mit Parfüm besprühen, alter Osterbrauch
     
    Tokană
    artoffelgulasch
     
    Tschapperl
    Dummkopf
     
    Ţuică
    Pflaumenschnaps
     
    UTM
    Verband der Werktätigen Jugend Rumäniens
     
    Vinete
    Brotaufstrich aus gegrillten Auberginen
     
    Zgârcitule totdeauna sărac
    »Der Geizige ist immer arm«
 
(Sprichwort)
     
     
    Zinne
    Hausberg Kronstadts

Literatur
    Gabanyi, Anneli U. :
    Die unvollendete Revolution. München, 1990
     
    Kennel, Herma :
    Es gibt Dinge, die muß man einfach tun. Der Widerstand des jungen Radu Filipescu. Freiburg, 1995
     
    Lippet, Johann :
    Protokoll eines Abschieds und einer Einreise oder: Die Angst vor dem Schwinden der Einzelheiten. Heidelberg, 1990
     
    Müller, Herta :
    Der König verneigt sich und tötet. München, 2008
     
    taz ARCHIV

Informationen zum Buch
    Von heute auf morgen steht Agnes allein da. Nacheinander sind ihre Eltern in den Westen gereist und dort geblieben. Selbst die begehrte Westjeans und die Zusicherung ihrer Eltern, sie bald nachzuholen, können Agnes’ Enttäuschung nicht lindern. Und obwohl sie fortan die ganze Härte des Ceauşescu-Regimes zu spüren bekommt, liebt sie ihre Heimat und will jetzt erst recht nicht fort. Erst als sie ohnmächtig mit
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