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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen
Autoren: Else Buschheuer
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verdienen? Ich dachte an die einzige Pressekonferenz meines Lebens, in Sternburg, George Clooney. Ich hatte mir die Akkreditierung eines vergrippten Kollegen geschnappt, um den Weltstar aus der Nähe zu sehen. Um meine Schüchternheit zu überwinden, hatte ich mir eine komplizierte Frage ausgedacht, die sich um seine Wahlunterstützung für Barack Obama drehte. Ich war einer Ohnmacht nahe, als ich mich schließlich meldete. Ich war der einzige Journalist gewesen, der auf Deutsch fragte, weswegen Clooney und sein Stab extra die Simultanknöpfein die Ohren fummeln mussten. Nie vergesse ich Clooneys Blick, als ich stammelte und stammelte und nicht zum Ende kam. Come on, you fucking Kraut! Das war Vergangenheit. Nun fing die Zukunft an. Das hatte ich zumindest bis eben gedacht.
    Big Ben schimpfte immer noch. Er selbst habe mit 16 als Zeitungsjunge begonnen, in Sternburg und sich dann langsam hochgearbeitet, erst in der Druckerei in Ratzenhausen, später als Redaktionsassistent bei seinem Vorvorgänger, dann als Reporter, schließlich als Ressortleiter usw.
    »Ich mag keine Schmarotzerei – womöglich willst du jetzt auch gleich bei mir einziehen?«
    Er hatte ja recht. Ich war zweifelsfrei ein Milchgesicht, ein Grünschnabel, ein Dreikäsehoch. Ich hatte bisher nichts in meinem Leben auf die Beine gestellt, überhaupt nichts. Gut, Schule, Abitur, Computerkurs, Praktikum in der Redaktion des Grimmelshausener Anzeigers , dann über Jahre vereinzelte Einsätze als Lokalreporter bei Feuerwehrfesten, Schützenvereinsfeiern und Eröffungspartys von Bankfilialen. Aber was war das für eine Bilanz? Ich war schon 33 Jahre alt. Immer kleiner wurde ich in Big Bens Ledersessel. Wie ein Kartenhaus zerfiel mein Traum von Ruhm und schönen Frauen. Ganz in der Ferne hörte ich Mutters sprödes Lachen.
    »Aber – eine Wohnung habe ich schon, im Leuchtturm, ganz oben«, sagte ich kleinlaut. »Und deinen Brief, erinnerst du dich noch an deinen Brief?«
    Ich zog den Brief aus meiner Tasche und las mit Pathos die Stelle vor, von der ich mir seit Jahren so viel versprach: »Wenn du mal Hilfe brauchst, Junge, ich bin immer für dich da! Dein alter Patenonkel Benedikt.«
    Big Ben schien plötzlich besänftigt, seine Stimmung schlug merklich um. Vielleicht war es der Brief, vielleicht hatte ihn Mitleid mit mir ergriffen. Seine Haltung entspannte sich, und ich nahm dies, beflügelt vom Alkohol, zum Anlass, mich erstmals zu »verkaufen«. Ich schob ein wohlwollendes Zeugnis vom Chefredakteur des Grimmelshausener Anzeigers über den Tisch, in dem mir Fleiß, Pünktlichkeit und Phantasie bescheinigt wurden, sowie Kopien meiner besten Artikel.
    Big Ben nickte, schien aber nicht bei der Sache.
    »Du wohnst im Tuntentower?«, fragte er.
    Seine Stimme dröhnte von tief drinnen heraus. Er war nicht nur groß, er war ein Herr. Baltischer Adel. Vollwaise, Selfmademan. Mutter sprach immer untadelig von Big Ben. Er sei ein Mensch von Prinzipien, jemand, auf den man sich verlassen könne, der »besser als gut« sei, er habe sich nie gebunden und lebe wie ein Mönch. War das besser als gut?
    Ich zeigte aus dem Fenster hinaus auf den Leuchtturm, der von der weißen Wintersonne vorteilhaft angestrahlt wurde. Er sah wunderschön aus.
    »Dort wohne ich. Aber ist das der Tunten...?«
    »Ja, das Hochhaus dort, in dem die Schwulen wohnen.«
    »Ich wusste gar nicht ...«
    »Kennste den? Stehen zwei Schwule im Aufzug. Sagt der eine: ›Ich könnt jetzt 'ne Fliege ficken.‹ Sagt der andere: ›Bsssssssssssssss.‹«
    Ich verstand nicht, lachte aber trotzdem. Bilder schossen mir durch den Kopf. Enge Jeans. Kajalaugen. Matrosenhemden. Hoffentlich dachte Big Ben jetzt nicht auch, ich sei – so.
    »Ich habe die Wohnung einer kürzlich verstorbenen Autorin gemietet. Das heißt, ich hab sie noch nicht gemietet. Heute kann ich den Mietvertrag unterschreiben, aber dafür muss ich eine Verdienstbescheinigung vorlegen. Ich wollte dich fragen, ob ...«
    »Ach! Etwa die Wohnung von Felicitas Müller? Glückwunsch, da hast du ja eine grandiose Aussicht!«, sagte Big Ben. »Die tote Dame ist schenial. Sie schenkt uns seit einer Woche Titelgeschichten.«
    Er schien plötzlich regelrecht gutgelaunt. So musste ein Medienfürst sein, väterlich und kaltschnäuzig zugleich. Eine scheniale Tote. Vom verlegerischen Standpunkt aus – warum auch nicht?
    »Eine gute Geschichte beginnt mit einer Leiche«, sagte Big Ben. Der ausgestopfte Greifvogel hinter ihm sah nun aus, als säße er auf
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