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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen
Autoren: Else Buschheuer
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Tür geöffnet. Dann drehte sie sich um, entzog mir die Zeitung wieder und legte mir die Hand auf die Brust. Es war ein beklemmender Moment von Körperlichkeit.
    »Keine Angst, Jungermann«, sagte sie orakelhaft, »hier gibt's keine Geister. Frau Puh-Vogel garantiert dafür.« Sie nickte, während sie von sich sprach wie von einer anderen Person, für die sie unbedingt die Hand ins Feuer legen würde. Wir betraten das helle Zimmer hoch über Rizz. Sofa, Bett, Fernseher, Schrank, Tisch, Stuhl. Frau Puvogel öffnete die Balkontür und bedeutete mir feierlich, hinauszutreten. Der Balkon war voller Schnee. Eine eiskalte Windböe schlug uns ins Gesicht. Wir schnappten nach Luft, Eishände griffen mir an die Ohren.
    Frau Puvogel rief wieder »Hui!«, hielt mit einer Hand den Pelzmantel zu und mit der anderen ihre Schichtfrisur fest. »Nicht runtergucken«, rief sie.
    Nun sah ich erst recht hinunter. Mikroben-Menschen, Autos wie Spielzeuge, streichholzkleine Bäume. Es stach tief in meinem Bauch. Ich warf mich zurück und presste den Rücken gegen die kalte Wand. Etwas Unheilvolles schwappte in mir hoch. »Ist sie gesprungen?«
    Frau Puvogel sah ebenfalls hinunter und nutzte die Gelegenheit, um erneut nach mir zu greifen.
    »O Gott«, schrie sie gegen den Wind, »ogottogottogott, dieser Wünd! Nein, sie ist ja in Dingenskirchen geSCHTorben. Das ist ein Dorf, vierzig Kilometer von hier. In der Villa eines Filmproduzänten, mit dem sie wohl …« Frau Puvogel ballte die linke Hand zur Faust und schlug damit dreimal in die rechte Handfläche, wofür sie mich loslassen musste. »Ein richtiger Kerl, dieser Müller, reich und mächtig! Sehr berühmt. Haben Sie von ihm gehört? Er verkehrt im Club meines Exmannes. Die sollen immer Orgien machen, mit Rauschgift.« Sie winkte ab. »Jedenfalls – wo war ich? Es war ja ein Unfall, angeblich –«
    Wir gingen wieder hinein.
    »Wie war sie denn so?«
    »Wenn Sie mich fragen: Tingeltangel! Hier gingen Krethi und Plethi aus und ein, sie war eine sogenannte Bestsellerautorin.« Frau Puvogel zog ihr Unterlid herunter. Dem Postboten, erfuhr ich, hatte meine Vormieterin zuweilen nackt geöffnet, und wegen lauter Beischlafgeräusche hätte es Beschwerden gegeben, einmal sogar bis hin zur Unterschriftensammlung. Um unsere Füße sammelten sich schmutzige Schneepfützen. Ich begann, körperlich unter Frau Puvogels Anwesenheit zu leiden.
    Die Wohnung jedoch gefiel mir, mittendrin und doch allein. Auch der Hauch von Tragik, den die tote Bestsellerautorin einbrachte. Hier würde ich die zehner Jahre des dritten Jahrtausends verbringen, fürs Feuilleton schreiben und schöne Frauen küssen. Das Bett war ungemacht. Es sah aus, als sei es noch warm. Hitze machte sich in meinen Lenden breit. Ob dort der geräuschvolle Beischlaf stattgefundenhatte? Ich hatte nur einen kurzen Blick auf die rote Lockenmähne, die saugenden grünen Augen im Mittagskurier geworfen. Der hatte gereicht.
    »Hier wird entrümpelt, dann renovieren wir. Ich sach mal, Mai könn' Sie rein.«
    »Sagten Sie nicht April?«
    »Ich sagte Mai.«
    »Aber ich brauche die Wohnung sofort«, murmelte ich.
    »Pardon?«, sagte Frau Puvogel.
    Mutter pardonte auch immer. Vor allem, wenn sie ein unflätiges Wort hörte, »Arsch« zum Beispiel oder, schlimmer noch, »Scheiße«. Was Mutter wohl gerade tat? Ob sie meinen Brief schon gefunden hatte?
    Der Ton der Vermieterin änderte sich, seit meine Dringlichkeit im Raum stand. Sie war nicht mehr die Werberin, sie war die Umworbene. Binnen Sekunden war ich zum Bittsteller geworden, den man verhören durfte. Ich sei nicht etwa arbeitssuchend (sie sprach dieses Wort mit gestisch dargestellten Gänsefüßchen)? Oder Raucher? Ansteckende Krankheiten? Haustiere? Adoptierte Negerkinder? Homosexualität? Nicht, dass sie gegen Letzteres was habe, sogar der Außenminister sei ja so einer. Aber der sei ja auch ganz unten auf der Beliebtheitsskala. Nein, kein schwuler Zuzug im Leuchtturm. Das irritiere die Mieter. Bei aller Liebe.
    »Ich bin auf keinen Fall … homosexuell«, sagte ich leise und spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss. »Schwul« hätte ich nicht zu sagen gewagt. So sprach man nicht, dort, wo ich herkam. Frau Puvogel kicherte backfischhaft. Nein, sie hätte mich auch keine Sekunde verdächtigt, aber, um zur Sache zu kommen, die Wohnung sofort mieten, das ginge gar nicht, auf keinen Fall, so ganz ohne Verdienstbescheinigung, polizeiliches Führungszeugnis, Kaution, Kenntnis meiner Person
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