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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen
Autoren: Else Buschheuer
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Mittagskurier sucht Reporter und Redakteure mit einschlägiger Berufserfahrung«, gab es für mich kein Halten mehr.
    Eines Nachts, als Mutter im Fernsehsessel eingeschlafen war, schlich ich mich in ihr Schlafzimmer, entnahm dem bordeauxfarbenen Samtsäckchen unter ihrer Matratze 1000 Euro in Fünfzigern, füllte die Reste ihres köstlichem Bohneneintopfs in eine Tupperdose,griff nach meinem bereits gepackten Rucksack und lief zum Nachtzug nach Rizz.
    Beim Gedanken an meine abenteuerliche Flucht war ich beschwingt, leichtfüßig, voller Übermut. Fast hätte ich Mutter angerufen. Der Champagner war in mir geschmolzen und prickelte durch meine Gefäße, ich war so angetan von dem Gefühl, dass ich mir vornahm, Alkohol zum festen Bestandteil meines neuen Lebens zu machen.

FRISCH RASIERT UND FERN DER HEIMAT
    Ich schlief traumlos im duftenden weißen Bettzeug der Müllerin und wachte mit einem Kater auf. Es war, als hätte mich meine Reise, obwohl Grimmelshausen nur 600 Kilometer entfernt war, in eine Art Jetlag versetzt. Alles fremd, alles neu, ich ganz allein, und dann diese Aufregung. Ich richtete mich auf, nieste dreimal und tastete nach meinem blauen Fläschchen mit den Augentropfen. Eins von Mutters Argumenten war gewesen, dass ich an einem »allergetisch nicht überschaubaren Ort« wie Rizz zwangsläufig vor die Hunde gehen musste.
    Aber was! Ich lag 80 Meter über der Stadt, im Bett einer Toten, ein angehender Journalist, der sich einen Namen machen, der es zweifelsfrei zu großem Erfolg bringen würde. Ich war hellwach, während es draußen noch finster war. Die Heizung gurgelte. Der Wind pfiff durch die Fenster. Die leeren Wände schauten mich aufmunternd an. Im Bad stand noch die Zahnbürste der Vormieterin in einem Glas. Ich verspürte das Verlangen, mir damit die Zähne zu putzen, rang mit mir und tat es schließlich. Die Bürste war neulich noch in ihrem Mund gewesen, jetzt war sie in meinem. Von Rot nach Weiß, hörte ich Mutter sagen. Rot wie Blut, weiß wie Schnee.
    Ich rasierte mich, kämmte mir Brillantine ins Haar, zog einhimmelblaues Hemd an, griff nach dem frisch gereinigten schwarzen Anzug, den mir Mutter für Vaters Beerdigung gekauft hatte, verletzte mir beim Entfernen der angetackerten Reinigungsmarke den Finger, kämpfte mit einer Ohnmacht, suchte die rote Krawatte heraus und band den miserabelsten Windsorknoten meines Lebens.
    Kassensturz: Von den 1000 Euro, die ich Mutter entwendet hatte, waren 300 für Frau Puvogel draufgegangen, weitere 200 für Fahrkarte und Taxi. Ich musste sparsamer sein. Oder bald einen Auftrag an Land ziehen. Mein Computer empfing, wie erwartet, kein offenes Netz. Ich schrieb eine To-do-Liste: Big Ben, Mietvertrag, Reinigung/Waschsalon, Internet.
    Punkt 8 Uhr schloss ich, meine Tasche geschultert, die Wohnungstür, suchte nach dem Schild »Fluchtweg« und lief die Treppen hinab, um mein Haus in Besitz zu nehmen. Eine Treppe bestand aus zehn Stufen, ein Stockwerk aus zwei Treppen. Ich lief also 400 Stufen hinab, zwei Stufen auf einmal, erst springend wie ein Fohlen, mit federnden Gelenken, dann merklich langsamer, schließlich schnaufend, immer öfter pausierend. Verschwitzt und kurz vorm Wadenkrampf kam ich unten an. Wie schlecht ich doch in Form war. So konnte ich Big Ben auf keinen Fall vor die Augen treten! Also mit dem Fahrstuhl gleich wieder hinauf. Im sechsten Stock, auf der Höhe, auf der Frau Puvogel über den Klimawandel geschimpft hatte, kam er zum Stehen. Eine junge Frau an Krücken stand da. Ihre Beine steckten steif in Gestellen wie in Baugerüsten. Sie setzte die Krücken in den Fahrstuhl und schwang mit einem routinierten Sprung beide Beine neben mich. Sie stand fest. Ich starrte sie an.
    »Fahren Sie runter?«, fragte sie.
    »Nein, hoch.«
    Sie machte Anstalten, wieder hinauszuhüpfen, aber die Tür schloss sich bereits.
    »Scheiße«, rief sie und rammte eine Krücke gegen die Fahrstuhltür.
    Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Mein Mund schmeckte nach Seife. Mutter hatte mich früher immer gezwungen, meinen Mund mit Seife auszuspülen, wenn ich ein schmutziges Wort gesagt hatte. Inzwischen klappte der Pawlow'sche Reflex. Seifengeschmack im Mund, die Achseln verschwitzt, und das arme Krückenmädchen, das meinetwegen in die falsche Richtung fuhr. Das fing ja gut an!
    »Tut mir leid«, sagte ich.
    »Sie können doch nix dafür.«
    »Ja. Stimmt. Verzeihung.«
    Sie warf mir einen vernichtenden Blick zu. Stumm vor Scham stieg ich aus. Zurück im
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