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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen
Autoren: Else Buschheuer
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    Ich führte als Leumundszeugen Big Ben ins Feld, meinen Patenonkel, dem immerhin der Mittagskurier gehörte, den Frau Puvogel am Leibe trug. Tatsächlich, sie schien Big Ben nicht nur zu kennen, sondern über die Maßen zu verehren. Er sei ein Mann der alten Schule, sagte sie und wackelte anerkennend mit dem Kopf.
    Gern wäre ich auch ein Mann der alten Schule gewesen. Gern hätte ich diesen weltläufigen, flirtenden Ton draufgehabt wie Cary Grant in »Arsen und Spitzenhäubchen«, aber es fehlte mir an Praxis. Nichts auf der Welt wollte ich lieber, als diese Wohnungstür hinter mir schließen – den Schlüssel in meinen Händen und Frau Puvogel hinaus.
    Ich schob ihr sechs 50-Euro-Scheine von dem Geld, das ich Mutter gestohlen hatte, in die Hand, für die Unannehmlichkeiten, die ihr aus meiner Dringlichkeit erwuchsen. Mein Herz raste. Ich hatte noch nie zuvor jemanden bestochen. Sie spitzte die Lippen, als wollte sie küssen.
    »Wir sind also im Wort?«, fragte ich.
    »Und der kanze Krämpel?«, fragte sie.
    »Ich übernehme die Wohnung so, wie sie ist.«
    Langsam gingen ihr die Argumente aus. Schließlich wurden wir handelseinig. Die Miete hatte sich zwar auf wundersame Weise erhöht und war rückwirkend von Monatsanfang zu zahlen. Die Renovierung oblag nun meiner Verantwortung (»spätestens bei Auszug!«), von »diversen« Wohnungsschlüsseln waren alle außer diesem »noch unterwegs«, aber der Mietvertrag, der würde bereits am nächsten Tag unterschrieben, gesetzt den Fall, ich legte bis dahin eine Verdienstbescheinigung vor.
    Wir besiegelten den Deal mit einem Handschlag, dankbar drückte ich Frau Puvogels Finger, ölige, duftende, gut abgehangene Würste.
    »Gebäck haben Sie nicht?«, fragte sie, schon halb aus der Tür.
    Ich erschrak. War es hier üblich, zur Schlüsselübergabe Gebäck zureichen? »Nein …«, sagte ich furchtsam. Würde sie mir den Schlüssel nun wieder wegnehmen?
    »Nanü …?« Frau Puvogel blickte streng auf meinen kleinen Rucksack.
    Dann war sie weg, und ich blieb allein zurück. Ich zog meinen »Kalender großer Persönlichkeiten« hervor und machte einen Kringel um den Tag. Ein guter Tag. Philip Roth, Bruce Willis und Wyatt Earp hatten heute Geburtstag. Und ich erlebte eine Neugeburt. Als ich mich anschickte, meinen Rucksack auszupacken, ging mir auf, dass Frau Puvogel nicht nach Gebäck, sondern nach Gepäck gefragt hatte, und ich lachte laut. Ich lachte Tränen, und der Wind trug mein Lachen fort, vielleicht bis Dingenskirchen, vielleicht sogar bis nach Grimmelshausen. Mutter hatte mich niemals so laut lachen gehört. Und die arme Frau Puvogel! Sie dachte nun vermutlich, ich sei ein Sträfling auf der Flucht –

DER SCHWARZE BUNKER
    Rizz zu meinen Füßen, das Lichtermeer vor Augen, mein Gott, Herr im Himmel, ich war wie im Rausch. Ich trat auf den Balkon. Mutter hatte immer gesagt, ich steckte mit dem Kopf in den Wolken. Jetzt würde ich wirklich und wahrhaftig den Kopf in die Wolken stecken können. Ich fühlte mich wie der erste Mann auf dem Mond. Dabei war Rizz nur ein hässlicher Verkehrsknotenpunkt, der vom Glanz vergangener Tage zehrte. Berühmte Komponisten hatten hier komponiert, berühmte Gelehrte gelehrt, berühmte Dichter gedichtet. Aber das war lange her. Egal. Nun gehörte es mir. Meine Lungen füllten sich mit eiskalter Luft. Das laute Lachen hatte mich gelockert.
    »I am the king of the world!«, schrie ich gegen den Wind wie Leonardo DiCaprio in »Titanic«. Es war ein Geburtsschrei.
    »Hallo King«, rief es spöttisch zurück. Ich sah ertappt zur Seite.Neben mir, auf dem Nachbarbalkon, stand ein Mann. Er war in meinem Alter, vielleicht etwas älter, trug ein kurzärmeliges T-Shirt, als sei Hochsommer. Er hatte lange Koteletten und eine 50er-Jahre-Haartolle. Seine Figur war kräftig, sein Gesicht pausbäckig. An seinen Schläfen klebten Formationen von Strass, seine Arme waren muskulös wie die von Popeye.
    »Oh, guten Tag«, stammelte ich, aus der Illusion totaler Privatheit aufgeschreckt, »ich hab Sie gar nicht gesehen!«
    »Hab ich gesehen, dass du mich nicht gesehen hast.« Er zog einen schweren Ring vom Finger und streckte die nackte Hand über die Brüstung. »Ich heiße David«, sagte er. »Willkommen im Leuchtturm!«
    Ich schüttelte die dargebotene Hand. Sie war warm und feucht.
    »Ich heiße Michael! Auf gute Nachbarschaft!«
    Duzten wir uns nun? Ich war diese Art der Ansprache nicht gewohnt. Wir schauten stumm hinunter, David schien überhaupt
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