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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen
Autoren: Else Buschheuer
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erblickte, »schenial!«
    Stumm vor Freude ergriff ich Big Bens große Hand und drückte sie.
    »Das ist aber schön, dass du deinen alten Patenonkel mal besuchst«, sagte er, »ich sage das ab imo pectore – du hast das Latinum?«
    »Nur das kleine«, murmelte ich.
    Der dicke Mann wuchtete mir den Arm auf die Schultern und nahm mich mit ins Gebäude. Ich warf dem Pförtner einen triumphierenden Blickzu.
    »Ich sage das aus der Tiefe meiner Brust«, übersetzte Big Ben schnaufend.
    Wir fuhren acht Stockwerke bis ganz nach oben und landeten in einem kleinen vollverglasten Rondell, das, den architektonischen Moden des dritten Jahrtausends geschuldet, auf den Altbau aufgepfropft war.
    »Naaa, Schönheit?«, rief Big Ben seiner Sekretärin zu.
    »Guten Morgen, Herr Doktor«, sagte sie und errötete.
    Big Ben warf den Fellmantel nach der Sekretärin – sie fing ihn auf, schwankend wie ein routinierter Torwart – und schob mich in sein Büro. Bald darauf saßen wir uns auf wulstigen rotbraunen Ledersesseln gegenüber, er hinterm Schreibtisch, ich davor, wie sich das gehört. In Big Bens Rücken, zwischen zwei Fenstern, hing ein ausgestopfter Greifvogel. Die Sekretärin, die stark an Lilo Pulver in Billy Wilders »Eins Zwei Drei« erinnerte, stöckelte herein, in der Hand ein Tablett mit dick geschmierten Buttersemmeln, einer Kanne Kakao und Geschirr. An dieser Stelle hätte ich eigentlich auf meine Milchallergie hinweisen müssen, aber das schien mir deplatziert.
    Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, griff Big Ben unter den Schreibtisch, förderte eine Flasche Whisky zutage und goss einen gewaltigen Schwapp in meine dampfende Tasse, in seine nicht.
    »Herrengedeck«, sagte er verschmitzt und schmauchte an seiner kalten Pfeife. Ein Hauch von Adenauer lag in der Luft. »Was sitzt du denn wie ein Affe auf dem Schleifstein? SO sitzt man im Sessel!« Er fläzte demonstrativ und hob die Tasse. »Bibe si bibis. Weißt du, was das heißt?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Du hast aber nur das ganz kleine Latinum! Trink, wenn du trinkst! Proscht!«
    Auch ich versuchte das Fläzen und erhob meine Tasse. Kakao und Whisky fraßen sich scharf und heiß in meine Gurgel.
    »Soso«, sagte Big Ben und musterte mich ausgiebig.
    »Ich soll liebe Grüße von Mutter ausrichten«, sagte ich.
    Er nickte und fuhr sich versonnen durch den struppigen Bart. »Wie hat es Mona verkraftet?«
    Es war seltsam, Mutters Vornamen aus seinem Mund zu höre Natürlich wusste ich, dass sie Ramona hieß, aber es verbot sich für einen Sohn von selbst, an seine Mutter als an eine Ramona zu denken, schon gar an eine Mona. Mona wie Mona Lisa. An solcherlei Vertraulichkeit konnte ich als Sohn nicht teilhaben, Whisky hin oder her.
    Ich antwortete knapp und nippte zwischendurch an meiner Tasse. Die Buttersemmeln ließ ich aus. Mutter hatte mich gelehrt, bei Bewerbungsgesprächen nie zu essen. Sie hatte nicht erwähnt, ob man dabei Schnaps trinken dürfe, hier gab es also Gestaltungsspielraum. Der Tod meines Vaters lag bereits drei Monate zurück. Mutter gehe es den Umständen entsprechend gut, sagte ich. Big Ben nickte und schaute in die Ferne. Er war ein Jugendfreund von Mutter gewesen. Nichts Genaues wusste man.
    »Was macht das Medizinstudium?«
    Mir wurde warm. Ich betrachtete meine Hände und blieb an dem verletzten Finger hängen.
    »Ich kann kein Blut sehen.«
    »Aha«, sagte Big Ben, »soso, also kein Medizinstudium.«
    »Ich möchte lieber Journalist werden. Und ihr sucht ja welche. Kannst du mir helfen?«
    Ich zog die Annonce aus der Jackentasche und hielt sie hoch. Das war die Stelle meiner Phantasie gewesen, an der Big Ben begeistert aufsprang und mich an die Brust drückte. Doch das Gegenteil war der Fall. Hart stellte er seine Tasse auf. »Du Dreikäsehoch«, rief er, »du Grünschnabel, bist noch nicht trocken hinter den Ohren, hast noch kein Haar am Sack.«
    Haar am Sack? Das war vulgär.
    »Kannst du nicht lesen? Wir suchen Reporter und Redakteure MIT EINSCHLÄGIGER BERUFSERFAHRUNG. Was hast du denn schon auf die Beine gestellt in deinem Leben? Weißt du, was Arbeit ist, du Milchgesicht? Der Mensch, der Erfolg will, ist ein Animal laborans, ein Arbeitstier, kein Hans Guckindieluft wie du! Ich soll dir helfen? Was hast du getan, um dir meine Hilfe zu verdienen?«
    Ich griff nun doch nach einer Buttersemmel und hielt sie mir vors Gesicht, weil Big Ben meine Enttäuschung nicht sehen sollte. Musste man sich die Hilfe seines Patenonkels
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