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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen
Autoren: Else Buschheuer
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Apartment, hätte ich mich am liebsten im Bett verkrochen. Aber wie sagte Mutter immer? »Man muss sich zwingen!« Ich wechselte das durchgeblutete Pflaster, tauschte das nassgeschwitzte Hemd gegen ein frisches, schüttelte die Angst aus dem Mantel, wickelte mich in den weinroten Schal, den Mutter mir zum 30. Geburtstag gestrickt hatte, und ging erneut los. Diesmal zog ich den Fahrstuhl vor, wenngleich von Bedenken geplagt, auf weitere Anwohner zu treffen. Es stieg niemand zu.
    Die Morgenluft war kalt und klar. Kein Tier war zu hören, kein Baum war zu sehen. Das Tempo der Menschen und das Brüllen des Verkehrs umfingen und elektrisierten mich. Zu meiner Begeisterung sah ich unten im Leuchtturm ein Bistro, das als WLAN-Hotspot gekennzeichnet war.
    Ich klapperte dennoch erst die benachbarten Straßen ab und fand tatsächlich ein Postamt, eine Schnellreinigung und einen Copyshop. Ich lief zurück zum Leuchtturm und betrat das halbleere Bistro, fuhr meinen Computer hoch, loggte mich ein und bestellte, nachdem ich diverse ausgefallene Macchiato- und Latte-Variantenstudiert hatte, bei einem schnauzbärtigen Mann, der sich abwartend über den Tresen lehnte, einen »normalen Kaffee komplett«.
    »Klarhabbisch«, sagte der Mann.
    Laktosefreies Milchpulver, wie ich es zu Hause meiner Milchallergie wegen benutzte, hatte er nicht. Ich setzte mich an einen Fenstertisch, schlürfte den ungewohnt bitteren schwarzen Kaffee und checkte meine Mails, frisch rasiert und fern der Heimat. Ich hatte einige Antworten auf meine Partnerschaftsanzeige, die allerdings unter den neuen Umständen jeden Reiz verloren hatten.
    In der anderen Ecke saßen drei wippende Jungs mit Matrosenhemden, Kajalaugen und Kopfhörern. Als ich den Stadtplan auspackte, um mir den Weg zum Mittagskurier einzuprägen, trat einer der Matrosen an meinen Tisch und zog seine Stöpsel aus den Ohren.
    »Bist du neu in der Stadt?«
    Ich nickte.
    »Auf der Suche nach Abenteuern?«
    Ich nickte. Er zwinkerte. Mir schoss das Blut ins Gesicht.
    »Nein, danke«, murmelte ich. Er wendete sich ab und hielt in Richtung Nebentisch den Daumen runter. Die anderen Jungs lachten.

ZUCKERBROT UND PEITSCHE
    Es war 9, als ich aus dem Leuchtturmbistro hinaustrat und mich auf den Weg machte. Menschen mit frostroten Wangen hasteten zur Arbeit. Jedem Entgegenkommenden nickte ich freundlich zu, wie ich es von Grimmelshausen her kannte, aber niemand nahm von mir Notiz. Ich schien außerdem der Einzige zu sein, der an der roten Ampel wartete. Alle anderen Passanten schlängelten sich mürrisch durch die fahrenden Autos, die Rizzer hupten wie die Italiener. An einer Straßenecke sah ich einen monströsen gelben Kran, fast sohoch wie mein Haus, und sechs Hunde zerrten einen überforderten Hundesitter an mir vorbei. Ich musste nur auf die Wachtürme des Schwarzen Bunkers zugehen, durch einen Park hindurch, in welchem Penner kampierten, dann scharf links Richtung Rizz-Nord an einer Plakatwand vorbei, auf der stand: »Rizz – die Stadt, in der es niemals Nacht wird«. Ich hatte mir alles genau auf dem Stadtplan angesehen, denn ich überließ nie etwas dem Zufall. Das Redaktionsgebäude war ein rekonstruierter Altbau am äußeren Rand des Stadtrings, nicht unpompös, mit großzügigem Eingangsbereich, in dem jeder Ankömmling weithin sichtbar war. Dem Pförtner, dem ich als Fußgänger entgegentrat, was mich offenbar verdächtig machte, legte ich den alten Brief von Big Ben vor, nannte meinen Namen und verlangte, mit dem Büro des Verlegers verbunden zu werden.
    »Haben Sie einen Termin?«
    »Ja!«
    Er fragte mich nach meinem Namen, telefonierte unbewegten Gesichts und warf schließlich den Hörer auf die Gabel.
    »Bedaure«, sagte er.
    Ich sah ihn entgeistert an.
    »Sie haben keinen Termin mit Dr. von Rube«, sagte er.
    »Ich komme wegen der Annonce«, sagte ich leise und wühlte die Seite aus dem Grimmelshausener Anzeiger aus meiner Tasche, » Mittagskurier sucht Reporter und Redakteure mit einschlägiger Berufserfahrung.«
    »Bitte bewerben Sie sich schriftlich«, sagte er und wandte sich ab.
    Ich stand wie vom Donner gerührt. War denn alles aus, noch bevor es begann?
    Als ich durch die Tür wieder hinaus auf den Hof trat, hörte ich einen vertrauten Donnerbass. Big Ben entstieg gerade einem Landrover, groß und bärenhaft, eine wuchtige Samtweste mit altenPosamentenknöpfen am Leib, einen Fellmantel darüber, ein Windspiel an der Leine. Glückes Geschick!
    »Ja, der Michi«, rief er, als er mich
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