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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen
Autoren: Else Buschheuer
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Big Bens Schulter. Er erinnerte an das berühmte Foto von Alfred Hitchcock mit dem Raben auf der Schulter. Von dem hätte dieser Satz auch stammen können. Oder stammte er von ihm? Eine gute Geschichte beginnt mit einer Leiche. Big Ben griff in einen Stapel Zeitungen und hielt sie nacheinander hoch.
    Klobige schwarze Großbuchstaben sprangen mir entgegen. »Liebestod in Dingenskirchen?« (die Schlagzeile kannte ich schon) – »So schön, so tot« – »Erfolgsproduzent Müller schwebt in Lebensgefahr« – »Erfolgsproduzent Müller – Er kommt durch!« – »Müller und Müller in Dingenskirchen – war da ein Dritter im Spiel?« – »Die Rote Müllerin – wer erbt?«
    »Darf ich die haben?«, fragte ich.
    Big Ben strich sich schweigend über den Bart. Ich betrachtete seinen großen goldenen Siegelring. Ich wagte nicht, die Zeitungen zu mir herüberzuziehen, geschweige denn darin zu blättern, ich wagte nicht, zu sprechen, ich wagte nicht einmal, zu atmen. Ich sah nach unten und erblickte zum ersten Mal den Erfolgsproduzenten Müller. Den Mann mit den Orgien. Den Mann mit dem »Rauschgift«. Den Liebhaber der Roten Müllerin. Er hatte ein pockennarbiges Löwengesicht, umrahmt von einer Beethovenmähne, und er lächelte vom Tisch aufwärts, als wolle er zubeißen. Mich schauderte im Kraftfeld zweier Männer, denen ich nicht im Geringsten den Whisky reichen konnte.
    »Warte, du bringst mich da auf eine Idee«, sagte Big Ben. »Ich schreib dir eine Verdienstbescheinigung über, sagen wir, 1000 Euro im Monat, begrenzt auf ein Jahr, wir machen dir ein Papier, damit du den Mietvertrag kriegst, und das ist deine erste Geschichte.«
    »Meine erste Geschichte?«
    Ich rückte mich zurecht, wobei der Ledersessel furzte. Verlegen lachte ich auf. Big Ben hatte nichts gemerkt. Ich biss herzhaft in die Buttersemmel. 1000 Euro waren eine ungeheure Summe für mich. Von Mutter hatte ich monatlich ein Zehntel davon als Taschengeld erhalten, ich hatte ja auch quasi nichts gebraucht.
    »Wir bringen morgen und übermorgen noch mal was dazu, aber dann ist die Sache ausgelutscht. Deine Geschichte, Junge, ist eher was Langfristiges: Wie war es wirklich? Nimm dir Zeit, mach kräftig Spesen, rapportiere nur mir, und zwar täglich, hörst du? Es könnte ein Mehrteiler werden. Du weißt, das ist eine Chance, die ein Reporter nicht alle Tage kriegt. Da fällt dir eine große Geschichte in den Schoß!«
    Unter der Wucht der großen Geschichte, die mir in den Schoß fiel, verschwand ich komplett in Big Bens Ledersessel. Der sagte: »Dictum, factum«, und sah auf die Uhr. Die Audienz war beendet.

TUNTENTOWER
    Ein explosionsartiger Durchfall tobte in meinen Eingeweiden, knapp schaffte ich es auf Big Bens marmorgekacheltes Klo. Die Milch. Ich hätte die Milch nicht trinken sollen. Andererseits: Mein erster Auftrag! Erst ein Donnerwetter, dann der helle Blitz! Dafür konnte auf der Verdauungsebene ein Opfer gebracht werden. Noch auf dem Heimweg, die Verdienstbescheinigung in der steifgefrorenen Hand, rief ich Frau Puvogel an. Wann der Mietvertrag unterzeichnet werden könne. Sie diktierte mir die Nummer eines Kontos, auf das die Kaution überwiesen werden solle. Die nächste Stunde verbrachte ich mit der Suche nach einer ökologischen Bank, bei der ich ein Bankkonto eröffnen konnte, auf das ich meine verbliebenen 500 Euro in einem Handstreich einzahlen und Frau Puvogel als Kaution überweisen würde. Für die Transaktion ließ ich mir einen Beleg ausdrucken.
    Nun war das Geld perdu, der halbe Tag vergangen und ich wie zerschlagen. Big Bens Herrengedeck machte mir Sodbrennen, ich war an regelmäßiges Essen gewöhnt und hatte Hunger, Durst und nur noch Kleingeld in der Hosentasche. Kräftig Spesen machen sollte ich, aber wovon? Ich beschloss, auf einen Kaffee ins Leuchtturmbistro zu gehen, aber die Klinke gab nicht nach. Drinnen war alles dunkel. War das Bistro etwa innerhalb von Stunden pleite gegangen? Ich hatte Mutter oft von der Schnelllebigkeit der Großstadt reden hören, von den Pleiten und Neueröffnungen und Pleiten und Neueröffnungen, während zu Hause in Grimmelshausen im »Café Lohmeyer« schon Generationen konditerten und noch Generationen konditern würden. Plötzlich sah ich eine Gestalt, die sich im Innern des Raums bewegte. Es war der schnauzbärtige Mann. Ich klopfte an die Tür. Er öffnete, eine Kiste in der Hand.
    »Inne-Venne-Tur!«
    »Ich wollte nur – einen Kaffee?«
    »Klarhabbisch«, sagte er und ließ mich ein.
    Der
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