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Zu viele Morde

Zu viele Morde

Titel: Zu viele Morde
Autoren: Colleen McCullough
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Schubladen angebracht, dann kamen offene Regale und danach eine Freifläche, die sich über eine Hälfte des Schrankes zog. Der einzige Nachteil waren die funzeligen Glühbirnen, wegen der Angst des Dekans vor Bränden in geschlossenen Räumen. Lediglich Fünfundzwanzig-Watt-Birnen, keinen Deut heller. Die Türen federten wieder zu, wenn man sie öffnete. Noch so eine Zwangsvorstellung des Dekans; er hasste Unordnung und sah in allen geöffnetenSchubladen und Türen nicht nur potentielle Unfallquellen, sondern auch rechtliche Haftpflichtgefahren.
    Evan schaltete das Licht in der Kammer an und betrat sie. Die Tür schwang hinter ihm zu, aber daran war er gewöhnt. Er sah das Bündel sofort, das mit einer Kordel von der Decke hing. Begierig eilte er darauf zu, weder überrascht, dass sein Opfer die Abgeschiedenheit der Kammer gewählt hatte, noch, dass es auf der Seite hing, wo sich weder Schubladen noch Regale befanden. Er schaute nicht hoch zur Decke, sondern blickte nur bis zur Höhe des Bündels, das trotz des Lichtes deutlich erkennbar in Klarsichtfolie eingewickelt war. Man sah die Banknoten ganz genau: Einhundert-Dollar-Scheine. Sie schienen neu zu sein, ohne die dicken Ecken, die Scheine bekamen, wenn sie durch viele Hände gingen. Ein nettes, flaches, ziegelsteingroßes Paket.
    Unvermittelt, als seine Hände schon nach dem Paket griffen, hielt Evans einen Moment inne und dachte an das gewaltige Ausmaß seines Coups, den Triumph, von dem er niemandem erzählen konnte, solange er die Quasselstrippe weiter erpressen wollte.
Wollte
er mit den Erpressungen weitermachen? Letztendlich brauchte er das Geld gar nicht; es war lediglich die Waffe der Wahl. In was er sich sonnte, war das Wissen, dass er, Evan Pugh, nur ein neunzehnjähriger Zweitsemester des Chubb, die Macht hatte, einen anderen Menschen bis hin zum Punkt extremer mentaler Tortur zu quälen. Oh, welch ein tolles Gefühl! Natürlich würde er die Quasselstrippe weiter erpressen!
    Er setzte seine Bewegung fort und ergriff das in Klarsichtfolie gewickelte Paket. Als es sich nicht lösen ließ, zog er daran, mit einem kräftigen ungeduldigen Ruck, so dass er es bis auf Hüfthöhe herunterzog. Seine Hände folgten dem Paket, ohne es loszulassen.
    Im selben Moment gab es ein lautes Geräusch, ein Stöhnenund ein Zischen. Als die entsetzlichen Schmerzen seine Oberarme und den Brustkorb erfassten, dachte Evans tatsächlich, ein Dinosaurier hätte ihn gebissen. Er ließ das Paket fallen und umklammerte das, was auch immer ihn verschlang, und seine Finger schlossen sich um den kalten Stahl, der in seinem Fleisch festsaß – nicht einer, sondern eine ganze Reihe von Dolchen, tief in seinem Fleisch, bis auf die Knochen.
    Der Schock war für einen Schrei zu groß gewesen, aber nun begann er schrill zu brüllen, heiser, wobei er sich fragte, warum sein Mund voller Schaum war, doch er schrie, schrie, schrie …
    Das Geräusch drang aus der Kammer ins Zimmer, aber es war niemand da, der es hörte. Dass es nicht bis auf den Flur drang, lag an dem Architekten, der viel von Schallschutz hielt und mit einem großzügigen Budget ausgestattet gewesen war. Die Parsons hatten etwas wirklich Erstklassiges haben wollen, wenn sie sich schon von einem Rodin und ein paar Henry Moores trennen mussten.
     
    Evan Pugh brauchte zwei Stunden, um zu sterben. Seine Beine versagten ihren Dienst, seine Atmung war ein verzweifeltes Keuchen. Sein einziger Trost war der Brief der Quasselstrippe, den die Polizei in seiner Tasche finden würde.
     
    »Ich glaube es nicht!«, rief Captain Carmine Delmonico. »Und der Tag ist noch nicht mal vorbei. Wie spät ist es, zum Teufel?«
    »Gleich halb sieben«, ertönte Patrick O’Donnels Stimme aus der Kammer.
    Carmine kam durch die Tür, deren Federn inzwischen gelöst worden waren, und betrat eine surreale Szene, wie aus einem Horrorkabinett. Patsy hatte in der Kammer die Fünfundzwanzig-Watt-Funzeln des Dekans durch zwei Jupiterlampenersetzt, und jeder Teil der Einrichtung schien in Flammen zu stehen. Die Leiche, die schlaff von der niedrigen Decke baumelte, zog seinen Blick als Erstes in ihren Bann. Die Oberarme und der Brustkorb befanden sich auf grausame Weise im Kiefer von etwas, das dem Gebiss eines weißen Hais aus rostigem Stahl ähnelte.
    »Himmel!«, keuchte Carmine und ging so vorsichtig wie möglich um die Leiche herum. »Patsy, hast du schon jemals so etwas gesehen! Und was zum Teufel ist das?«
    »Eine riesige Bärenfalle, glaube ich«,
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