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Zorngebete

Zorngebete

Titel: Zorngebete
Autoren: Sabine Heymann
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Unmögliches verlange. Nur, dass in meinem Leben etwas passiert, dass ich wenigstens einmal an einer Wegkreuzung stehe und die Wahl habe. Die Wahl treffe! Hier lang oder da lang.
    Du hast mich ignoriert, Allah. Das ist ungerecht. Du siehst, ich bringe es nicht einmal über mich, nicht mehr an Dich zu glauben. Wenn das kein Glaube ist! Du hast mir gesagt: »Sprich nicht über deinen Glauben, lass es zu, dass der Glaube aus dir spricht.« Und in der Tat, ich schwitze ihn aus, den Glauben. Es ist allgemein bekannt, dass man irgendwann anfängt, seine Folterer zu lieben. Ja, Tafafilt ist Folter und Du hast mich hier abgestellt. Und dafür soll ich auch noch danke sagen. Stimmt’s? Das hat keinen Sinn.
    Mein Bauch ist dicker geworden. Dabei funktioniert meine Verdauung ganz normal. Meine Schamhaare sind immer noch da, ich bin also immer noch Jungfrau.
    Es ist ungefähr vier Uhr. Ich führe meine Schafe spazieren. Der Bus aus Belsouss fährt vorbei. Ich stehe am Straßenrand. Er ist brechend voll.
    Ein Koffer fällt herunter.
    Bums.
    Der Bus fährt weiter.
    Danke, Allah. Wow, danke!
    Ich habe nie aufgehört, an Dich zu glauben, das weißt Du genau.
    Mein Gott, danke, Allah, danke von ganzem Herzen!
    Ich renne zu dem Koffer, meine Schafe laufen mir hinterher, ich drehe mich also um und drohe ihnen mit dem Stock. Sie bilden wieder ihren Kreis und bleiben stehen.
    Der Koffer ist rosa, wie der Raïbi, das ist ein gutes Zeichen. Den gebe ich nicht wieder her, falls der Bus kehrtmacht. Das ist zwar schlecht, aber das nehme ich auf mich.
    Er ist rosa, mit Rollen, und es steht »J’adore Dior« darauf. Was für ein seltsamer Koffer. Er ist weder mit einer Schnur verschlossen noch mit einem Klebeband, und es guckt auch kein Minzsträußchen raus. Es ist ein Koffer aus einer anderen Welt, das sieht man. Ich werde zwar von niemandem beobachtet, wage aber trotzdem nicht, ihn zu öffnen. Ich will nicht, dass dieser Moment zu Ende geht. Dabei stecken vielleicht noch jede Menge mehr Momente darin, die nur darauf warten herauszukommen …
    Also gut, ich mache ihn auf. Wow! Amerika ist rosa und riecht gut. In Tafafilt sagt man
mirikan
, um all das zu umschreiben, was unerreichbar ist. Wirklich alles. Es glänzt. Es sind Kleidungsstücke darin, ein Schminktäschchen, auf dem »Mrs. Clooney« steht.
Mirikanisches
Erdbeergloss,
mirikanisches
Mangogloss und
mirikanisches
Walnussgloss. Zum ersten Mal wird mir bewusst, dass ich stinke.
    Auch Jeans mit Strasssteinchen auf den Gesäßtaschen,
mirikanische
Paillettentops,
mirikanische
Keilabsätze, kleine
mirikanische
Abendtäschchen, im Grunde genommen eine komplette Nuttenausstattung. Das riecht stark nach
haram
. Aber wie verdammt gut das ist!
    Ich ziehe die Jeans über, die mich anglänzen. Perfekt, die Länge. Ich krame in den Taschen und ziehe ein Papierknäuel heraus. Oh, mein Gott, das sind Zweihunderter-Banknoten! Sechs im Ganzen. Oh, mein Gott. Das sind mindestens … mindestens … das ist ungeheuer viel Geld, das alles.
    Danke, Allah. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich Dir all diese Sachen gesagt habe. Ich hätte einfach Geduld haben sollen. Ich wusste, dass Du mich erhören würdest, dass in meinem Leben irgendetwas passieren würde. Aber das hier übertrifft alle meine Erwartungen, dieser
mirikanische
Koffer. Du hast sie verdient, Deine neunundneunzig Namen. Ich schwör’s.
    Und da sind Strings. Fuchsia, schwarz, rot mit Spitze. Sogar ein String mit Perlen. Später werde ich darin Expertin sein, aber im Augenblick, muss ich sagen, habe ich ziemliche Mühe zu begreifen. Ich kann nichts dagegen machen, ungewollt muss ich lächeln. Ich schaue nach links, ich schaue nach rechts. Ich streife meine Unterhose ab. Ich ziehe den Perlenstring an. Was für ein eigenartiges Gefühl. Der schneidet richtig ein. Idealerweise sollte man komplett epiliert sein, um solche Dinger zu tragen, aber das ist mir egal, ich habe etwas
Mirikanisches
im Arsch. Ein sehr seltsames Gefühl. Es tut sogar ein bisschen weh. Die Schamhaare verheddern sich in den Perlen.
    – Jbara! Jbara!
    Scheiße, mein Vater!
    – Komm her, du Nichtswürdige, und hilf deiner Mutter, ich habe Hunger!
    Dann also los!
    Hauptsache, er findet meinen Koffer nicht. Ich denke, es ist besser, die Beine in die Hand zu nehmen und zu ihm zu laufen.
    Oh, mein Gott, tut das weh, Scheiße!
    Das ziept!
    Der String verwandelt sich in ein echtes Folterinstrument. Ich renne und unterdrücke meine Schmerzensschreie. Mein Vater schubst mich, als ich an
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