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Zorngebete

Zorngebete

Titel: Zorngebete
Autoren: Sabine Heymann
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sich was eingebrockt!
    Ich komme wieder ins Zelt, die Kinder schlafen, mein Vater auch. Meine Mutter spricht ihre Gebete. Weil sie Rückenprobleme hat, betet sie auf den Knien. Ich wüsste gern, was sie Allah sagt. Jetzt mal ehrlich, wofür soll sie sich bei Ihm schon bedanken? Sie kann Ihn höchstens um Sachen bitten. Aber um was? Sie kennt doch nichts. Ach ja, einmal habe ich gehört, wie sie darum bat, öfter Fleisch zu bekommen. Irgendwann habe ich sie sogar danach gefragt. Mir hat sie gesagt, dass sie Ihm Dank sage für die Gesundheit und Ihm Lobpreisungen darbiete. Dass sie Ihn um Fleisch gebeten hat, das hat sie sich nicht zu sagen getraut.
    Ich entferne mich ein wenig und spreche ebenfalls mein Gebet. Ich muss einfach mit Allah reden, über ganz konkrete Dinge. Über meine Wirklichkeit.
    – Danke, Allah, für die Gesundheit, für die meiner Mutter, meiner Brüder und Schwestern. Danke für … ähhh … meine Schafe … Danke für alles eben, was weiß ich, und ich will Dir sagen, Du bist bestimmt sehr schön und sehr barmherzig und auch sehr glorreich, Allah. Aber trotzdem. Warum hast Du es zugelassen, dass ich noch hier bin? Findest Du, dass das ein Leben ist, Tafafilt? Was habe ich hier für einen Wert außer dem, ein menschliches Wesen zu sein? Allah, ich flehe Dich an, mach, dass etwas passiert in meinem Leben! Danke, Allah. Du bist sehr schön, sehr barmherzig und sehr glorreich.
Amine
.
    Danach warte ich ab, geduldig, weil ich weiß, dass Er raffiniert ist, Allah. Er wird mein Leben nicht ändern, kaum dass ich Ihn darum bitte, dann wäre es zu offenkundig, dass Er existiert, und kein Verdienst mehr, gläubig zu sein.
    Miloud dagegen, auf den muss ich nicht lange warten. Am nächsten Tag ist er wieder da, zur gleichen Stunde, mit seinem blauen Plastikbeutel und meinem Raïbi Jamila darin.
    Raïbi. Raïbi. Raïbi Jamila la la la la … Der Joghurt, für den die Kinder schwärmen!
    Meine Schamhaare sind immer noch da. Alles ist gut.
    Es passiert nichts.

Milouds saure Milch klebt dermaßen, dass ich echte Schwierigkeiten habe, meine Schenkel auseinander zu kriegen. Das trifft sich gut, denn es ist Badetag. Ich nehme meine sauberen Sachen, meine kleine gelbe Wanne, meinen Hocker, die Seife und ein Handtuch, das noch rauer ist als Milouds Hände. Ich säubere mich zwischen den Beinen. Ich fühle mich jungfräulicher als je zuvor.
    Hinter der Böschung steht mein großer Bruder und beobachtet mich, er glaubt, ich sehe ihn nicht.
    Mir ist nicht ganz klar, warum er diese komischen Verrenkungen macht, während er seinen Pimmel malträtiert. Vielleicht nur, weil er auch ein Idiot ist. Ich bürste meine langen Haare mit meiner kleinen runden Plastikbürste, wickle sie in ein sauberes Tuch, um mich heute Abend nicht zu erkälten, denn das Wetter wechselt gerade. Auf dem Rückweg zum Zelt ist mir schlecht. Ich übergebe mich. Dabei habe ich gestern gar nichts Besonderes gegessen, Fettstücke und Couscous mit ranziger Butter. Meine Mutter kommt mir entgegen und will, dass ich ein bisschen schneller mache mit dem Kotzen: Ich soll ihr in der Küche helfen, der
fkih
kommt zum Essen. Oh, nein, nicht der!
    Er sitzt da im Schneidersitz und lässt sich von meinem Vater in den Arsch kriechen, der gierig sein Gift trinkt, als wäre es
eau de zem zem
. Meine Mutter bereitet den Tee, es ist geschafft, die beiden Schweine sind sattgefressen und keins der Kinder hat ein Stück Fleisch abgekriegt.
    Meine Mutter serviert den Tee, und ich finde uns erbärmlich. Mein großer Bruder holt ein Schaf und bietet es dem
fkih
zum Geschenk. Mein Körper erstarrt und verrät mich:
    – Nein!
    Alle sehen mich an, erschrocken. Ich muss an mich halten.
    – Nicht dieses, wollte ich sagen …
    Eigentlich will ich, dass keines von meinen Schafen bei diesem Hurensohn endet. Aber mein Vater tötet mich mit Blicken, und ich gebe nach. Ich sage sogar:
    – Es ist nicht fett genug für unseren Wohltäter …
    Ja, ja, schon gut … mit Würde hat das nicht allzu viel zu tun, wenn ich aber nicht eingeknickt wäre, hätte ich Prügel bezogen. Und darauf hatte ich keine Lust.
    Wieder werde ich vom Brechreiz überfallen. Ich renne hinaus, um mich zu entleeren. Gott existiert nicht, glaube ich. Er hat nichts an meinem Leben geändert. Das ist jetzt kein Ultimatum, das würde ich nicht wagen, aber trotzdem, ich glaube nicht mehr an Dich. Ich mache keine persönliche Angelegenheit daraus, aber irgendwann hört der Spaß auf. Ich glaube nicht, dass ich
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