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Zorngebete

Zorngebete

Titel: Zorngebete
Autoren: Sabine Heymann
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Gegenwart nur gesagt, dass es zu heiß wäre und wie lästig das sei, da hat er mir gleich eine runtergehauen. Nach seiner Idioten-Logik war das Gotteslästerung, weil es Allah ist, der das Wetter macht. Jetzt haben Sie eine Vorstellung, wer mein Vater ist. Er ist ein Ignorant und weiß es nicht. Eine echte Plage auch für sich selbst. Er kann nur schimpfen, mit Vorliebe über die Frauen. Er ist ein armes Schwein, mein Vater. Er ist ein Trottel. Ein armer Trottel.
    Ich nehme es Allah ein bisschen übel, dass er mich in diesem Rattenloch verfaulen lässt. Rechts sind Berge, links sind Berge. Und in der Mitte sind wir, unser Ziegenlederzelt und unsere Schafherde. Ich bin für die Schafe zuständig. Ich mag sie. Sie sind lieb und sehr niedlich. Ich schimpfe sie aus, aber nur, weil ich gar nicht normal reden kann. Bei uns wird die ganze Zeit geschimpft. Nur wenn mein Vater nicht da ist, herrscht Ruhe. Er rennt dauernd zum
fkih
des Nachbardorfes. Ein
fkih
, das ist – wie soll man das sagen, ohne unhöflich zu werden? – das ist … eine Art Imam. Nein, eigentlich nicht. Niemals. Das wäre den echten Imamen gegenüber nicht gerecht. Nein, der
fkih
ist im Allgemeinen der größte Idiot des Dorfes, einer, der nicht ernsthaft arbeiten will und deshalb eines Tages beschließt, Imam zu werden. Schließlich ernennen sie sich selbst dazu. Ein echter Imam ist normalerweise ein guter Typ, der nichts Schlechtes tut. Es muss ihn geben, als Stellvertreter Allahs auf Erden, aber in Sachen Heiligkeit muss er auf der Höhe sein. Die
fkihs
dagegen können im Allgemeinen weder lesen noch schreiben. Und die meiste Zeit stinken ihre Füße. Sie sind eine Gefahr für die Allgemeinheit, sie fressen sich überall kostenlos durch, sie leben vor aller Augen auf Kosten der Armen und Unwissenden. Echte Arschlöcher, die zu allem Überfluss ausgerechnet von den armen Leuten besonders respektiert und gefürchtet werden. Allen voran von meinem Vater.
    Der
fkih
, dieser Hurensohn, hat ihm gesagt, der schlimmste
haram
von allen
harams
sei es, keine Jungfrau mehr zu sein. Also wirklich! Absolut gesehen glaube ich nicht, dass es einen Unterschied macht, ob man gelocht ist oder nicht, es sieht aber ganz danach aus, als sei dieses Loch seit Jahrtausenden der Mittelpunkt der Welt. Die Obsession eines jeden anständigen Mannsbildes. Dabei ist es doch gar nicht
ihr
Loch, verdammt nochmal!
    Jedenfalls hat mir Miloud irgendwann gesagt, er würde ihn mir ja nicht ganz reinstecken, und man sei erst dann definitiv keine Jungfrau mehr, wenn einem da unten sämtliche Haare ausfielen. Also habe ich angefangen, jeden Tag genau nachzusehen. Mein Busch war aber immer noch da. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich das Miloud wirklich geglaubt habe oder ob es mir einfach in den Kram gepasst hat, ihm zu glauben. Das sage ich Ihnen ganz offen. Andererseits sind mir diese Dinge nie von irgendjemandem erklärt worden. Ich wusste nur, dass alles rund um das Bermudadreieck
haram
ist. In meiner Familie ist es tabu, darüber zu sprechen. Lieber sagt man gar nichts. Das ist einfacher als verbieten. Eigentlich glaube ich, dass in meiner Familie das Sprechen überhaupt verboten ist. Wenn man nicht spricht, ändert sich nichts, und wenn sich nichts ändert, ist das für Angsthasen sowieso das Beste.
    Ich hatte ziemliches Glück, für so wenig Mühe echte Schokoladenkekse und Joghurt zu kriegen. Meine Brüder und Schwestern kennen den Geschmack von Raïbi Jamila gar nicht. Ich konnte ihnen nichts abgeben, das müssen Sie verstehen, sie hätten schließlich gefragt, woher ich es habe, und ich hätte ihnen dann sagen müssen, dass ich es für das Vögeln mit Miloud bekommen hatte. Das wäre nicht so gut angekommen, oder? Dabei machte mir das Vögeln mit Miloud nicht sonderlich was aus, ich tat es einfach, das ist alles. Entschuldigung, von mir aus.

Er geht, ohne sich umzudrehen, wie jedes Mal, und ich trinke in großen Schlucken meinen Raïbi Jamila, ohne ihm hinterherzusehen. Miloud hat schiefe braune Zähne mit Linsenresten in den Löchern ganz hinten, er hat raue Hände mit auf Lebenszeit verkrustetem Dreck unter den Fingernägeln und einen blauen Turban auf dem Kopf. Heute kann ich sagen, dass er nicht schön ist, aber damals weiß ich noch nicht einmal, dass ich mir diese Frage eines Tages stellen könnte. Er ist, das ist alles. Heute würde ich mich lieber in einer Pfütze wälzen als Milouds Eier abzuschlecken. Aber damals tat ich es für einen Granatapfeljoghurt.
Raïbi
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