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Zorngebete

Zorngebete

Titel: Zorngebete
Autoren: Sabine Heymann
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gedacht, dass ich den noch einmal wiedersehe. Was machst du, wo fährst du hin?
    – Ich weiß nicht … ich werde sehen … Was willst du?
    – Ich? Ich will nichts. Nur ein bisschen reden, das ist alles. Na gut, auf Wiedersehen.
    – Wie kommt es, dass du
Mirikan
sprichst?
    – Ich habe in Frankreich gelebt, bin aber zurückgekommen, und dort habe ich ein wenig Sprachen gelernt …
    – Weshalb bist du zurückgekommen?
    – Wenn man schon als Dienstmädchen arbeitet, kann man das genauso gut zu Hause tun.
    Diese Betrachtungsweise gefällt mir. Aber ich habe noch nie mit einem Unbekannten gesprochen. Deshalb sage ich ihm lieber:
    – Auf Wiedersehen.
    Er antwortet:
    – Auf Wiedersehen …
    Ich frage ihn:
    – Und das ist dein Beruf?
    – Nun ja …
    – Gut, auf Wiedersehen.
    – Auf Wiedersehen … ich heiße übrigens Khalid.
    – In Ordnung. Auf Wiedersehen.
    – Auf Wiedersehen.
    Mein Gott, es ist das erste Mal, dass ich mit einem Mann spreche. Ich war lächerlich, total aggressiv. Ich habe zwanzig Mal »Auf Wiedersehen« gesagt, wie eine Bekloppte. Und ich war giftig. Völlig unnötig außerdem, er war ja höflich. Aber wenn man jemanden nicht kennt, sollte man lieber blaffen, so kann man sicher sein, ihn noch weniger kennenzulernen. Das ist beruhigender. Vielleicht sollte ich mich bei ihm bedanken. Nein, dann glaubt er noch, ich will was. Gut, wenn ich aussteige, werde ich weitersehen.
    Drei Stunden später komme ich am Busbahnhof von Belsouss an. Es wimmelt nur so von Leuten, so viele auf einmal habe ich noch nie gesehen. Da sind Autos, Zweiräder, Taxis, Lastwagen, Bettler, Kinder, Dreck und ich. Ich traue mich nicht, aus dem Bus zu steigen, ich warte, bis er sich leert. Dann steige ich aus. Ich finde meinen Koffer wieder, der neben dem Bus auf mich wartet. Khalid musste wohl schon weg, ich sehe ihn nicht. Ich wäre sowieso wieder eine Niete gewesen …
    Also gehe ich aufs Geratewohl in eine Richtung und werde fast bei jedem Schritt überfahren. Ich bin das nicht gewöhnt. Ich habe Hunger.
    In einem Schaufenster werden Hähnchen gegrillt. Es riecht gut. Ich gehe hinein in das Restaurant. Ich weiß nicht, woher ich den Mut nehme, aber ich stelle mir nicht einmal die Frage. Ich weiß genau, dass ich angezogen bin wie ein armes Mädchen und dass die anderen mich für ein Landei halten.
    Alle Leute drehen sich nach mir um. Ich schlage die Augen nieder. Es sind nur Männer da und eine Familie mit einer verschleierten Mutter. Natürlich wirke ich komisch, so ganz allein. Ich setze mich auf einen fettigen Schemel, stütze meine Ellbogen auf einen fettigen Tisch und bestelle eine
tagine au gras
.
    – Hier wird im Voraus bezahlt!
    Ich ziehe einen Zwanziger raus und stopfe damit diesem Idioten von Kellner den Mund. Und ich bestelle sogar eine
Pipsi
.
    Kaum zu fassen, dass ich solche Sachen esse und trinke, auf einem richtigen Stuhl sitze, mit Leuten, die um mich herumlaufen, und Autos, die hupen. Alles hat seinen Preis. Was werde ich tun, wenn ich aufgegessen habe? Iss erst mal, sage ich mir.
    Der Kellner wischt einen Tisch direkt neben meinem ab. Sein grauer Lappen riecht schlecht.
    – Was hat ein Mädchen wie du hier zu suchen?
    Ich kann mir keinen Reim auf das »wie du« machen. »Wie du«, das heißt armselig und elend. Und er hat recht, der Mistkerl, das ist es, was ich in diesem Augenblick bin. Ich fühle mich einsam wie der Tod, dabei sehen mich alle Leute an. Es tut so weh, immer nur jemand anders zu sein und niemals jemand.
    – Gibt es keine Putzstelle hier?
    – Kommt darauf an …
    Weil ich schwanger bin, kriegt er nur einen geblasen. Er stinkt nicht so sehr wie Miloud, aber das ist es gar nicht mal. Ich kann kaum atmen. Er spritzt ab. Die saure Milch tropft auf meine Brüste. Er zieht den Reißverschluss seiner Hose hoch und geht. Ich habe ein kleines Zimmer im dritten Stock, und jeden Morgen um sechs Uhr putze ich im Café Zitouni.

Ich kotze. Ich schwitze. Ich habe Wehen. Es ist drei Uhr morgens. Ich schleppe mich mühsam durch die menschenleeren Straßen von Belsouss. Herrenlose Hunde suchen Streit mit mir, sie verstehen aber von selbst, dass man sich mit mir heute Abend besser nicht anlegt. Ich komme in die Gegend, die ich mir schon vor geraumer Zeit vage ausgeguckt hatte. Es ist menschenleer, wie vorgesehen. Ich lege mich auf den Boden, stütze mich mit dem Rücken auf dem Gehsteig ab und presse. Ich presse. Ich presse. Verdammte Scheiße, tut das weh. Meine Herren, stellen Sie sich einen dicken
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