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Zorngebete

Zorngebete

Titel: Zorngebete
Autoren: Sabine Heymann
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gezeigt.
    Im Grunde kann ich mich nicht beklagen. Ich verkaufe Sex für ein Zimmer und ein kleines Gehalt. Was ist schlecht daran?
    Heute Abend suche ich mir den pinkfarbenen String aus, dazu ein schwarzes Oberteil und einen Jeans-Minirock. Es ist fast Zeit zu gehen. Ich hole meinen
lizar
heraus, mit dem ich mich vollständig umhülle. Um den Blick der Leute zu vermeiden, lasse ich nur ein Auge herausgucken. Ich laufe völlig ungeniert herum, über jeden Verdacht erhaben. Wer würde so respektlos sein zu glauben, dass sich unter meinem
lizar
eine Nutte verbirgt? Er ist die beste Absicherung. Nur meine Schuhe könnten mich verraten. Aber niemand wagt es, eine verschleierte Frau anzusehen. Man lässt sie in Ruhe, die verschleierten Frauen.
    Ich dränge mich durch die Gässchen des
souk
, durchquere die düsteren Alleen, und wie ein Geist betrete ich ein Haus, dessen Tür mysteriöserweise nur angelehnt ist. Der Dicke liegt auf einer Bank mit geblümtem Polster. Ich lasse den
lizar
langsam über meine nicht enthaarten Beine hinuntergleiten. Der Dicke stöhnt schon beim Zusehen. Dabei habe ich noch gar nichts gemacht.
    Das ging aber schnell, ich brauchte mich nicht einmal draufzulegen.
    Ich werfe mir den
lizar
wieder über, nehme mein Geld und gehe, wie ich gekommen bin, verschleiert. Er ist mein Freiraum, dieser
lizar
. Darunter kann ich tun und lassen, was ich will. Ich habe meine Wahl getroffen.
    Zuhause mache ich das Radio an:
    »Liebe Zuhörerinnen, willkommen bei unserer Sendung ›Schönheit für einen Dinar‹. Ich bin Moufhida Ben Abess. Heute zum Thema ›Wie bekommt man so schöne Hände wie Angelina Jolie?‹ Nehmen Sie eine Avocado und Arganöl, mischen Sie das Ganze und reiben Sie die Hände damit ein. Besonders das Nagelbett, und schieben Sie die Nagelhaut zurück.«
    Ich habe keine großen Ausgaben und bin insgesamt ziemlich sparsam. Es gibt zwar bestimmte Läden, in die ich mich nicht hineintraue. Aber inzwischen habe ich schöne Kleider, ich esse praktisch jeden Tag die Reste, und mein Zimmer kostet mich zehn Blowjobs im Monat. Mein bisschen Erspartes verstecke ich zwischen den Schlüpfern, in meinen Strumpfhosen. Ich habe fast 1000 Dinar gespart. Danke, Allah.
    Und dann, eines Tages, als ich gerade dabei bin, das Scheißhaus zu schrubben, kommt von hinten Abdelkrim, der Kellner, und sagt zu mir:
    – Hättest du Lust, in Masmara zu arbeiten?
    Ich drehe mich um. Er hat nicht einmal seine Hose heruntergelassen.
    – Wie bitte?
    – Mein Bruder arbeitet dort bei Leuten, die ein Hausmädchen brauchen.
    Ich stehe auf. Es geht weiter. Wie konnte ich Dich nur so sehr bedrängen, Allah?
    Entschuldigung. Entschuldigung.
    – Aber ja! Ja, wirklich, ich bin fleißig, das weißt du ja, ich würde alles tun, was getan werden muss.
    – Du musst nur morgen nach Masmara fahren.
    Ich traue meinen Augen nicht. Meinen Ohren nicht. Allen beiden nicht. Masmara! Ich? Jbara Aït Goumbra? Ich hab’s geschafft, ich bin nicht mehr gar nichts, ich gehöre zum Volk. Auch wenn es dreckig ist, das ist mir egal.
    Ich bin darauf gefasst, dass er den Reißverschluss seiner Jeans aufzieht, aber er geht und sagt nur, dass er mir alles aufschreiben wird, und er fügt sogar hinzu:
    – Viel Glück.
    Die Männer sind mir ein Rätsel. In dem Moment hätte ich ihm seinen Blowjob liebend gern gemacht. Heute hätte das einen Sinn gehabt.

Natürlich kann ich die ganze Nacht nicht schlafen. Ich falte meine Sachen wohl zwanzig Mal, kämme mir immer wieder die Haare. Ich habe mich mit ihnen abgefunden. Sie sind lockig. Ich tue Öl drauf, damit sie glänzen. Ich lackiere mir sogar die Nägel. Zwar ein bisschen über den Rand, aber was soll ’s. Ich ziehe Schuhe mit Absätzen an. Auf Stöckeln sind meine Füße wie verwandelt, sie verfeinern sich. Ich bin bereit.
    Ich komme zum Busbahnhof von Belsouss. Der Bus nach Masmara ist blau. Ich kaufe meine Fahrkarte und setze mich hinten rein. Während der ganzen Fahrt bin ich kribbelig wie ein Floh. Ich glaube wirklich, diesmal bin ich im Bus die Vornehmste. Danke, Allah.
    Aber auch Entschuldigung. Ich vermute, dass Dir nicht alles gefällt, was ich tue, dass Du nicht alles gutheißt. Und das ist normal. Ich habe aber trotzdem eine Frage. Wenn ich in einer guten Familie geboren wäre, in einer guten Stadt, mit einer guten Erziehung, dann wäre ich zwangsläufig ein gutes Mädchen geworden, Allah. Ich hätte einen guten Mann geheiratet und gute Kinder bekommen. Aber so ist mein Start ins Leben nun
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