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Zorngebete

Zorngebete

Titel: Zorngebete
Autoren: Sabine Heymann
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einmal nicht gewesen. Du wirst zugeben, dass ich mich mit gewaltigen Problemen herumschlagen musste. Wie willst Du es also anstellen, über mich zu urteilen? Ich hoffe, du wirst meinen schlechten Start berücksichtigen …
    Wir sind die ganze Nacht durchgefahren. Ich habe nicht geschlafen. Zu aufgeregt. Wir kommen an. Uff, mein Koffer ist da. Er ist nicht heruntergefallen. Normal, ich lege mich ja auch nicht mit den Leuten an. Ich steuere auf ein kleines orangefarbenes Taxi zu und sage:
    – Schweizer Viertel, bitte, n° 104, Villa Samarcande.
    Wenn mir das jemand noch vor einem Jahr gesagt hätte …
    Hat irgendjemand mein Baby begraben? Oder hat es jemand noch rechtzeitig gefunden? Oder ist es von den Hunden gefressen worden?
    Was ist nur los mit mir, dass ich ausgerechnet jetzt daran denke? Schnell, vergessen.
    Was habe ich gerade gesagt? Ach ja. Wenn ich gewusst hätte, dass Du meine Wünsche so ernstnehmen würdest, Allah, dann hätte ich Dich auch um glatte Haare gebeten. Oder um einen französischen Pass. Nein, lieber glatte Haare. Obwohl, in Frankreich könnte ich mir glatte Haare kaufen. Ganz bestimmt kann man die da kaufen.
    Ich merke, dass wir uns den Reichen nähern. Die Villen sind nicht mehr aus Zement, sondern bunt, sie haben seltsame Formen, das sind keine grauen Blöcke, es sind kühne Bauten, die Villen der Reichen. Außerdem sind sie gut versteckt. Hinter Bougainvillen und Blumen, die aussehen wie Girlanden. Außerdem sind sie bewacht. Von alten Wächtern, die vor jedem Eingang auf Schemeln sitzen. Ich frage mich zwar, was ein alter Wächter gegen Diebe ausrichten soll, aber ich habe verstanden, es ist eine Sache des Respekts. Bei uns werden die Alten sehr respektiert, deshalb werden die Diebe einen alten Wächter nicht schlagen. Und deshalb werden die Diebe die Reichen auch nicht bestehlen. Sie sind schlau, die Reichen, nicht nur reich. Ich finde, dass ich vornehm aussehe und beinahe aus einer der Familien kommen könnte, die hier wohnen.
Beinahe
, ich bin ja trotz allem nicht verrückt … Es gibt immer kleine Details, die uns verraten und die uns daran erinnern, wo wir herkommen. Bei mir sind es die Zähne. Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, dass man sie jeden Tag putzen muss. Aber jetzt, wo ich in einem Palast wohne, werde ich mir eine Zahnbürste kaufen. Es gibt noch jede Menge weiterer Details, die mich verraten. Meine Hände sind die einer Arbeiterin. Meine Füße sind die einer Barfuß-Geherin. Meine Mumu ist die einer kleinen Nutte. Meine Augen sind die einer Armen. Sie sind immer niedergeschlagen.
    Ich klingle, ein junger Mann macht die Tür auf, es ist Abdelatif, Abdelkrims Bruder.
    – Guten Tag, ich bin Abdelatif.
    – Guten Tag, ich bin Jbara.
    – Hattest du eine gute Reise? Komm herein.
    Er nimmt meinen Koffer. Er ist nett, sag bloß!
    – Ja, sehr gut, danke. Abdelatif, vielen Dank für diese Arbeit …
    – Wenn du zuverlässig und fleißig bist, wird es keine Probleme geben, du wirst sehen.
    – Gott möge mein Zeuge sein, die Arbeit macht mir keine Angst …
    – Hier, das ist deine Uniform, zieh sie an, und dann kommst du zu mir in die Küche.
    – In Ordnung … danke …
    Ich binde mir ein Tuch um den Kopf und ziehe eine himmelblaue Bluse an. Ich nehme mir kaum die Zeit, mir mein Zimmer anzusehen. Es ist nicht größer als das in Belsouss, aber sauberer, die Wände sind weiß. Ich gehe lieber gleich in die Küche, ich werde noch jede Menge Zeit haben, Bekanntschaft mit meiner neuen Behausung zu machen. Ich mache weiter mit Schwung und bin immer auf dem Sprung … ich produziere Reime, Masmara verleiht mir Flügel.
    Das Haus ist prachtvoll, das müssen Leute sein, die den König kennen, mindestens. In der Küche gibt es eine Nette und eine Böse. Die Nette ist in meinem Alter, sie sitzt in derselben Scheiße wie ich. Sie heißt Latifa. Die Böse ist dick, heißt Hafida und ist natürlich die Chefin.
    – Du gibst keine Widerworte, du fragst nicht, ob du Ausgang haben kannst und du bandelst nicht mit den Gärtnern aus der Nachbarschaft an. Du repräsentierst gewissermaßen die Familie. Du sagst nur »Ja,
Lalla
« und »Ja,
Sidi
«, dann ist alles in Ordnung. Du gehst schlafen, wenn alle andern schlafen, und du guckst Sidi nicht in die Augen. Manchmal regt er sich auf, darauf entgegnest du aber nie etwas. Er arbeitet viel, er trägt große Verantwortung, deshalb muss alles parat sein, immer, die ganze Zeit …
    Die Herrin kommt. Bei ihrem Anblick begreife ich, warum die
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