Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zorngebete

Zorngebete

Titel: Zorngebete
Autoren: Sabine Heymann
Vom Netzwerk:
ihm vorbeikomme. Ich laufe noch schneller.
    – Entschuldigung, Papa. Ich bin schon da, Entschuldigung.
    Ich schäle Rüben, denke dabei aber nur an meinen Koffer. Es ist trotz allem unglaublich, was mir da passiert ist
    – Hast du deine Gebete gesprochen, meine Tochter?
    – Ja, Mama, aber noch nicht die des
asr
.
    – Du musst sie pünktlich sprechen, sonst ist es
haram
.
    Das zum Beispiel weiß ich, Allah, dass nicht Du es gewesen sein kannst, der so etwas gesagt hat. Was ändert es für Dich, ob man das Gebet zu einer festgelegten Stunde spricht? Wenn man richtig arbeitet, soll man da etwa eine Pause einlegen, nur um Dich zu preisen? Du hast nichts von alledem verlangt, da bin ich mir sicher. Du hast nur um eines gebeten, nämlich dass wir alle den Arsch hochkriegen! Das ja, das glaube ich gern.
    Meine Mutter macht mir ein Zeichen, dass ich beten soll. Mit diesem String am Leib? Ein bisschen deplatziert, finde ich. Aber ich habe keine Wahl.
    Ich hole meinen kleinen Teppich und lasse mich im Hintergrund nieder. Ich schütze Rückenschmerzen vor, um nicht auf die Knie gehen zu müssen. Ich habe jetzt schon einen blutigen Hintern. Ich spreche mein Gebet und sage einen Vers auf, denke dabei aber an meinen Koffer und an alles, was darin ist.

Mist, jetzt habe ich mir die Schlappen eingesaut. Ich bin nur noch am Kotzen. Was ist mit mir los, verdammt nochmal?
    Mit mir ist los, dass ich schwanger bin. Mein Bauch ist auf einen Schlag ganz dick geworden. Ich wollte, dass etwas passiert, aber nicht das. Das ist der Tod, das ist mein Tod. Wenn man nicht verheiratet ist, wird man verstoßen.
    Ich liege am Boden. Es hagelt Schläge auf meinen Rücken, auf die Waden. Mechanisch schütze ich meinen Bauch. Dabei ist er es, der mich umgebracht hat.
    – Du bringst Schande über uns, du miese Schlampe, hier kannst du nicht mehr bleiben! Scher dich fort, unverzüglich, du kleine Nutte, du Teufelstochter, du Sünderin!
    Allah, um so viel hatte ich doch gar nicht gebeten.
    Ich mache mich auf den Weg und ziehe meinen rosa Trolley hinter mir her. Ich begreife nicht wirklich, was mit mir passiert. Ich habe schreckliche Angst. Ich spüre intuitiv, dass eine Unmenge von Entscheidungen auf mich zukommen wird. Manchmal ist es besser, wenn nichts passiert. Sie werden jetzt natürlich sagen, dass ich allmählich wissen sollte, was ich will. Ich geb ’s zu, ich habe keinen Schimmer. Ich wollte sehen, wie es woanders aussieht, jetzt werde ich mich daran sattsehen können.
    Hinter mir höre ich den Bus herankommen. Ich hebe die Hand. Er verlangsamt die Fahrt. Ich muss mich gar nicht vor die Räder werfen. Das Glück. Beinahe. Ich kaufe meine Fahrkarte und setze mich ungefähr in die Mitte, neben eine alte Dame, die mir den Fensterplatz überlässt. Alle drei Sekunden kratzt sie sich am Hals. Das nervt. Der Bus fährt wieder los.
    – Khkhhkkhhkkkk!!
    Sie schluckt.
    Ich weine.
    Ich bin drin, in diesem Scheißbus, und gucke nicht einmal hin. Die Leute hier drin gleichen mir. Sie dünsten das Elend aus, wie ich.
    Aber wie konnte es nur passieren, dass ein
mirikanischer
Koffer von einem so armseligen Bus fällt? Sehr merkwürdig. Wirklich. Nicht einmal merkwürdig, es ist unmöglich. Und doch ist es passiert. Also muss es Allah gewesen sein.
    Egal wie, ich habe ein Baby im Bauch, ich habe keine Familie mehr, kein Dach überm Kopf und kein Zuhause, es sieht ganz so aus, als gehöre ich zu den Top Five des
haram
. Ich bin ganz offensichtlich keine Jungfrau mehr, auch wenn noch alle meine Schamhaare dran sind.
    Der Bus macht einen Stopp in Tendaba. Der Fahrer steigt aus, um einen Kaffee zu trinken. Ich ziehe es vor, sitzen zu bleiben und mich nicht von der Stelle zu rühren. Ein Mann kommt auf mich zu.
    – Der rosa Koffer, ist das deiner?
    – Ja.
    – Wie kommt das?
    – Wie kommt was?
    – Wie kommt es, dass du so einen Koffer hast?
    – Ich glaube, das geht dich nichts an.
    Ich muss ihm zeigen, dass ich keine Angst habe.
    – Vor sechs Monaten hat ein amerikanisches Paar diesen Bus genommen, weil ihnen der Geländewagen abgekratzt ist. Das waren reiche Leute, und ihre Tochter hat ständig herumgezickt. Sie glaubte, wir verstehen sie nicht, deshalb hat sie über uns hergezogen. Ich spreche aber ein bisschen
Mirikan
, und ich mochte nicht, was sie sagte. Deshalb habe ich ihren Koffer runtergeworfen.
    – Du hast ihn runtergeworfen? Aber wie denn?
    – Ich sitze während der Fahrt auf dem Dach, ich kümmere mich um das Gepäck. Ich hätte nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher