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Keine Angst vor Anakondas

Keine Angst vor Anakondas

Titel: Keine Angst vor Anakondas
Autoren: Lutz Dirksen
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Prolog
    Einsamer geht es kaum. Siedlungen oder vereinzelt stehende Hütten – Fehlanzeige. Weit und breit kein Mensch. Nicht einmal weiße Kondensstreifen von Flugzeugen verwehen hier in den Luftströmungen der Atmosphäre. Fünf Tagesreisen sind wir von dem kleinen Indianerdorf entfernt, das an der Mündung des Rewa liegt, einem Zufluss des großen Stroms Rupununi. Im unteren Bereich des Flusses haben wir noch kleine Unterstände von Fischern gesehen. Irgendwann passierten wir dann aber die letzte menschliche Behausung, ohne uns dessen bewusst zu sein. Wir schippern nun tief durch die amazonisch geprägte Wildnis von Guyana. Und sind ganz auf uns allein gestellt.
    Das Knattern der Motoren unserer hoffnungslos überladenen Kanus dringt schon lange nicht mehr in unser Bewusstsein. Schleife um Schleife lassen wir hinter uns und winden uns den Fluss hinauf. Kilometer für Kilometer. Wir haben die Boote durch Stromschnellen gezogen und sie, um mehrere Wasserfälle zu umgehen, sogar weite Strecken durch den dichten und unwegsamen Dschungel ziehen und schleppen müssen.
    Flussaufwärts bedeutete dann bergaufwärts. Das alles ist zu einer zeitraubenden und kräftezehrenden Angelegenheit ausgeartet. Und genau das macht den Unterschied aus: Denn wo der Fluss die einzige Verbindung zu anderen darstellt, sind die Menschen darauf angewiesen, dass er auch schiffbar ist. Kein Wunder also, dass hier zwischen all den Stromschnellen und Wasserfällen niemand wohnt. Wir sind mitten in der unberührten Natur angekommen. Und genau das war unser Ziel. Hier müssen sie einfach sein. Hier hindert sie niemand daran, zu kolossalen Ausmaßen heranzuwachsen: Anakondas, die größten Schlangen der Welt.
    Die Große Anakonda kommt nicht nur in den Gewässern Amazoniens einschließlich der Orinoko-Region vor, sondern ist bis weit in den Süden Brasiliens, Paraguays und Boliviens beheimatet. Wenn auch keine Unterarten existieren, so ist es doch offensichtlich, dass sich die Schlangen regional unterscheiden. In den Überschwemmungssavannen von Venezuela werden sie nicht so groß wie in den Flüssen tief im Dschungel. Heftig wird darüber spekuliert, warum das so ist.
    Als Biologe kann ich schwerlich dem Reiz widerstehen, in die unberührte Wildnis vorzudringen, in der die Tierwelt den Menschen nicht kennt und ihm noch unbekümmert gegenübertritt. Wo sonst wäre es möglich, einen natürlichen Bestand zu erfassen? Als Anakonda-Experte ist es zudem eine euphorisierende Gelegenheit, sich auf die Spuren von Anakondas von außergewöhnlichem Kaliber zu begeben, um die Hintergründe ihres Riesenwuchses zu erforschen.
    Während und nach meiner Promotion an der Uni Bonn über Systematik und Vorkommen der Anakondas hielt ich über 800 Anakondas in meinen Händen. Ein großes lebendes Exemplar über fünf Meter Länge war allerdings bisher nicht darunter. Größtenteils hatte es sich um konservierte Anakondas aus wissenschaftlichen Sammlungen von Naturkundemuseen in vielen Ländern Europas und Südamerikas sowie den USA gehandelt. Mehrfach habe ich in Südamerika Feldforschungen mit Blick auf die insgesamt vier Anakonda-Arten betrieben. Bis in ein entlegenes Gebiet ganz ohne menschliche Aktivitäten bin ich dabei noch nie gekommen.
    Auf der aktuellen, ganz besonderen Expedition nach Guyana begleitet mich der Bonner Kollege Jörg. Er ist von Haus aus Ornithologe, also ein Vogelkundler, den insbesondere Raubvögel und alles Krähenartige faszinieren. Im letzten Moment hat er sich unserer Expedition angeschlossen. Dieses Abenteuer, diese einmalige Gelegenheit will er sich nicht entgehen lassen.
    Ich kam schon nach kurzer Zeit nicht umhin, Jörg einen etwas speziellen Charakter zu attestieren. Er gehört zu der Spezies von Biologen, die sich das Philosophieren zu eigen gemacht haben. Jörg ist intelligent, aber eben auf seine Art. Er atmet einen Gedanken ein, zerpflückt ihn im Kopf, bis der ursprüngliche Sinn hoffnungslos verloren ist. Was dann aus ihm heraussprudelt, nötigt zum Nachdenken. Letztens noch begann er über das »Nichts« zu philosophieren, das vor dem Urknall herrschte. Dazu stellte er folgende Thesen auf:
    • Aus dem »Nichts« kann nichts entstehen, was einem jeder Physiker bestätigen wird.
    • Alles, was vor dem Urknall das »Nichts« war, ist demzufolge auch danach ein »Nichts«.
    • Folglich sind wir selbst auch Teil des »Nichts« und also bei genauer Betrachtung nicht existent …
    Er schließt seine philosophischen Exkurse am
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