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Zorngebete

Zorngebete

Titel: Zorngebete
Autoren: Sabine Heymann
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Jamila la la la la … Der Joghurt, für den die Kinder schwärmen!
Später habe ich die Werbung im Fernsehen gesehen und fand, dass ich ziemliches Glück hatte, etwas zu essen, was im Fernsehen kommt. Ich hatte das Gefühl zu leben, mit den Passanten auf der Straße etwas gemeinsam zu haben, ganz merkwürdig.
    Einstweilen aber bin ich Hirtin in Tafafilt und kenne sonst nichts. Meine Schafe sind alles, was ich habe. Nein, ich habe noch meine Mutter. Ich liebe sie, meine Mutter. Na ja, ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich sie liebe, wie die anderen Leute lieben. Mit Gefühlen und so. Meine Mutter liebe ich, weil ich Mitleid mit ihr habe. Sie schlägt immer die Augen nieder und murmelt in ihren Bart wie eine Verrückte. Manchmal betet sie den einzigen Koranvers herunter, den sie kennt, und manchmal spricht sie mit ihren Karotten. Sie schnippelt Zwiebeln in jedes Essen, meine Mutter, um ungestört weinen zu können. Sie ist ganz krumm, weil wir in einem Zelt wohnen. Das Irrste ist in meinen Augen, dass sie meinen Vater erträgt. Mein Vater ist ein echter Vollidiot. Es gibt jede Menge Sachen, die ich nicht weiß, aber das habe ich immer gewusst. Ich hasse alles an ihm. So sehr ich auch versuche, Mitleid für ihn zu empfinden, ich schaffe es nicht. Als er bei einem Streit um nicht bezahlte Schafe von einem anderen Hirten verprügelt wurde, habe ich mich gefreut. Es gefiel mir, wie er kleinlaut auf der Erde lag und bei seiner Ehre schwor, dass er sich rächen würde. Ach, halt doch das Maul. Wer gibt dir das Recht, von Ehre zu sprechen?
    Ich weiß, ich bin ungerecht, er kann ja nichts dafür, er ist nur ein Trottel, aber irgendwo muss man doch anfangen, wütend zu sein, wann und wie soll ich sonst überleben? Wenn er redet, hat er etwas Weißes im Mundwinkel. Das finde ich eklig, dabei stinke ich selbst, ich weiß. Aber ich liebe ihn einfach nicht, das sage ich ganz objektiv. Es ist traurig, aber so ist es nun mal. Er befolgt wortwörtlich alles, was ihm der
fkih
erzählt, das ist doch zum Verrücktwerden.
    Oh, diese Einfaltspinsel, was die den Leuten für Geschichten auftischen!
    – Und dieser Mann aus dem Dorf Bti Kheir starb am Freitag nach dem Abendgebet und wurde am folgenden Tag bestattet, Gott sei seiner Seele gnädig. Alle hatten gesehen, dass er tot war, er fing schon an, blau anzulaufen. Als seine Witwe aber drei Tage später die Haustür öffnete, wer stand da leibhaftig vor ihr? Ihr Mann! Ob du ’s glaubst oder nicht! Vor ihr stand ihr Mann, Gott soll mich auf der Stelle töten, wenn ich lüge, Er sei mein Zeuge! Darauf fiel seine Frau erst einmal in Ohnmacht, doch kaum war sie wieder zu sich gekommen, fing ihr Mann an, dem ganzen Dorf zu erzählen, was er unter der Erde gesehen hatte …
    Gebannt hing meine Mutter an seinen verfaulten Lippen und wollte wissen, wie es weiterging. Und mein Vater antwortete:
    – Nun ja, ich hatte nicht genug dabei, aber
Inch’Allah
, morgen weiß ich mehr …
    Am nächsten Tag brachte er dem
fkih
ein Schaf, um das Ende der Geschichte zu bekommen. Von dieser idiotischen Geschichte. Was für eine Verschwendung! Jetzt verstehen Sie, warum ich ihn hasse. Das waren die einzigen Male, wo er ruhig sprach und in seinen Sätzen die korrekte Form der Vergangenheit verwendete. Die er gar nicht kannte, sondern einfach nachplapperte. Das Ende der Geschichte werde ich Ihnen ersparen, aber in groben Zügen hatte Gott diesem Kerl gesagt, dass die Frauen einen Schleier tragen müssten und ihre Fesseln bedecken und ihre Klappe halten und in der Küche bleiben und … Das war es, was der Mann unter der Erde gehört hatte. Dafür war mein Schaf gestorben. Und mein Vater glaubte es und meine Mutter auch.
    Ich hörte nur mit halbem Ohr hin und schlug mit dem Kopf auf den Boden, vor Wut. Obwohl ich hier geboren bin und obwohl ich hier noch nie rausgekommen bin. Aber ich konnte nicht anders, ich war die einzige, die diese Geschichten schwachsinnig fand und keine Angst hatte, das zu denken. Es zu sagen, hätte nichts geholfen.
    Bei uns essen alle aus dem gleichen Teller, und als Löffel benutzen wir den Daumen. Es gibt meistens Linsen, grüne Bohnen, Kartoffeln mit Fettstücken. Danach trinken wir Tee, in den trockenes Brot getunkt wird.
    Und danach sehe ich mir zweimal in der Woche an, wie der Bus vorbeifährt. Einmal kommt er am Mittwochnachmittag und ein zweites Mal Samstagnacht. Ich habe noch nie einen verpasst. Ich habe schon tausende von Silhouetten irgendwohin fahren sehen. Mehr als einmal
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