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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein
Autoren: Mayer Gina
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tun?«
    Gudrun ließ sich auf einen von Miras Stühlen fallen. »Ich will mein eigenes Geschäft aufmachen – einen Modesalon für die Damen.«
    »Aber das ist doch … Du hast doch überhaupt kein Geld, und um eine Schneiderei aufzumachen, brauchst du wenigstens eine Nähmaschine.«
    »Eine Nähmaschine?« Gudrun stieß verächtlich die Luft durch die Nase. »Ich brauche angemessene Räume, eine Adresse, die man angeben kann, ohne gleich zu erröten. Ich brauche Stoffe, Accessoires und Paravents und ein silbernes Teegeschirr mit vierundzwanzig Teilen, denn ich muss meinen Kundinnen ja auch Erfrischungen servieren können. Ich brauche Möbel, Teppiche und Vorhänge und ein Grammophon und ja, eine Nähmaschine brauche ich natürlich auch.«
    Mira sah ihre Freundin misstrauisch an. Machte sie sich über sie lustig? Gudrun hatte immer davon geträumt, eine eigene Modellschneiderei für anspruchsvolle, reiche Damen aufzumachen. Aber genau wie Mira war Gudrun arm wie eine Kirchenmaus. Ein paar Notgroschen in einer angeschlagenen Kaffeetasseauf dem Küchenbord – das reichte wohl kaum für die Eröffnung eines eleganten Damensalons.
    »Na ja, jedenfalls wollte ich das, aber jetzt bin ich ganz und gar durcheinander«, fuhr Gudrun fort. »Deine Mutter – also sie kann einen wirklich verrückt machen mit ihren Ratschlägen. Nun weiß ich gar nicht mehr, was ich anfangen soll.« Ihre langen Finger flatterten nach oben zu ihrem Kopf, sie fummelten eine Weile an ihrer Frisur herum, dann sanken sie wieder in ihren Schoß.
    »Wovon redest du eigentlich, Gudrun?« Mira stand wieder auf und lief mit großen Schritten durchs Zimmer. Sie wusste allerdings nur zu gut, wovon Gudrun redete. Gudrun war zu ihrer Mutter gegangen und hatte sich von ihr weissagen lassen. Sie hatte ihr aus der Hand gelesen oder aus dem Kaffeesatz.
Ich sehe etwas sehr Großes, sehr Düsteres, mein Kind
, hörte Mira die rauchige Stimme ihrer Mutter.
Sieh dich vor. Hokuspokus Fidibus dreimal schwarzer Kater.
Vielleicht hatte sie ihr auch die Karten gelegt. Warum um alles in der Welt hatte sich Gudrun darauf eingelassen! Was fand sie überhaupt an Miras Mutter, dass sie ständig zu ihr rannte!
    »Ich kann vielleicht einen Salon anmieten«, erklärte Gudrun. »Auf der Hohen Straße, oben am Carlsplatz. Ich wollte, dass sich deine Mutter die Räume einmal ansieht wegen der …« Sie unterbrach sich und starrte auf ihre Fingernägel, die weißrosa glänzten wie das Innere von Muscheln.
    »Warum soll sie sich die Räume ansehen?«, fragte Mira scharf, als Gudrun nicht weitersprach. Plötzlich musste sie wieder an den Film denken, den sie vorhin gesehen hatte. Wie Big Jim den kleinen Charlie Chaplin im Hungerwahn für ein Huhn gehalten hatte und mit dem Messer hinter ihm hergejagt war. Genauso war ihre Mutter. Sie nahm die Dinge nicht so, wie sie waren, sondern lebte in ihrer eigenen Welt, die voll verdrehter Wahnvorstellungen war.
    »Wegen der Geister«, meinte Gudrun trotzig. »Immerhin will ich mein gutes Geld nicht für teure Räumlichkeiten ausgeben, in denen irgendwelche unselige Geister herumspukenund mir die Kundinnen vertreiben, ohne dass man den Grund dafür kennt.«
    Mira schüttelte den Kopf. Sie holte zwei Gläser aus dem wackligen Kabinett neben dem Ofen und schenkte sich und Gudrun Apfelmost ein. Warum ließ sich Gudrun auf die Verrücktheiten ihrer Mutter ein? fragte sie sich wieder. Sie stand doch sonst mit beiden Beinen auf der Erde, spottete über Gott und den Teufel und ihre bigotte Vermieterin, die fünfmal in der Woche in die Kirche rannte.
    »Und warum bist du nun so durcheinander?« Mira reichte Gudrun ein Glas Apfelmost, ohne sie vorher zu fragen, ob sie etwas trinken wollte. »Wart ihr schon dort, und sie hat dir das Ganze ausgeredet?« Es ärgerte sie auch, dass Gudrun ihrer Mutter von ihren Plänen erzählt hatte, bevor sie mit Mira darüber gesprochen hatte.
    »Nein, nein.« Gudrun nahm gedankenverloren einen Schluck und verzog das Gesicht. »Es war ja viel zu spät für eine Besichtigung. Ich werde in der nächsten Woche mit ihr hingehen. Obwohl …«
    »Obwohl? Nun erzähl doch schon! Was ist geschehen?«
    »Ich hab ihr von der Sache erzählt. Was ich vorhabe und wie ich mir das Ganze vorstelle. Es war dasselbe, was ich auch dir gesagt habe, nicht mehr und nicht weniger, aber deine Mutter, sie hatte plötzlich … sie ist … es war wie eine Erscheinung.«
    »Sie hat angefangen zu zittern, und ihre Stimme wurde tief und fremd, als ob
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