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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein
Autoren: Mayer Gina
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hielt. Wenn Anna mich jetzt sehen könnte, dachte sie, während sie von oben auf sich selbst und die beiden Männer hinunterblickte. Mit einem Mal fühlte sie sich wild und mutig. Was ich alles erlebe, dachte sie, davon kann Anna noch nicht einmal träumen.
    »Was machen Sie eigentlich, Herr Ulrich?«, erkundigte sie sich. »Sie spielen im Orchester, aber welches Instrument?«
    »Das wurde ja auch einmal Zeit, dass Sie sich erkundigen. Immerhin kenne ich schon zwei Ihrer Berufe, und Sie wissen rein gar nichts von mir.«
    »Was spielen Sie denn nun?«, fragte sie. »Ach nein, sagen Sie es nicht, lassen Sie mich raten.«
    Trotz der Dunkelheit sah sie, wie sich seine Augenbrauen hoben.
    »Die erste Geige«, schlug sie vor.
    »Liege ich etwa richtig?«, fragte sie, als Haupt lachte.
    »Was denn sonst?«, gab Ulrich zurück. Er verlagerte sein Gewicht von links nach rechts, und plötzlich berührte sein Oberschenkel Orlandas Bein. Es war nicht unangenehm, aber sie wich dennoch nach rechts aus und stieß dadurch gegen Haupts Bein.
    »Ich denke darüber nach, vielleicht nach Düsseldorf zu wechseln«, sagte Haupt, als ob ihn erst die Berührung auf die Idee gebracht hätte.
    Seine Stirn leuchtete weiß in der Dunkelheit, darunter zeichneten sich dunkel die Augen ab, die Lippen erschienen schwarz. Das Negativbild eines Negers.
    »Wollen Sie zu uns ins Kleine Haus kommen? Oder an die Oper?«
    »An die Operette«, sagte Haupt. »Es gibt eine Vakanz, aber ich habe mich noch nicht darum beworben.«
    »Sie sind ja jetzt ein Star«, meinte Orlanda. »Da wird man Sie mit Handkuss nehmen.«
    »Wenn sie dich in Duisburg weglassen«, sagte Ulrich.
    »Ich werde natürlich bleiben, bis der Jonny abgelaufen ist. Danach wird neu verhandelt.«
    Danach wird neu verhandelt. Wenn ich doch auch nur einmal in der Lage wäre, diesen Satz zu sagen, dachte Orlanda. Aber bei ihr verliefen die Vertragsverhandlungen nach dem Prinzip: Friss oder stirb. Als sie mit Tornauer, dem Chorleiter, nach der Wildwestgirl-Premiere über eine Gagenerhöhung gesprochen hatte, war sie ausgelacht worden. »Dafür, dass wir Ihnen die Solorolle gegeben haben, sollten
Sie
dem Theater etwas zahlen.«
    Sie trank ihren Whisky und spürte, wie ihr Gesicht glühte, aber das machte nichts, es war ja dunkel. Neben ihr saßen Ulrich und Haupt und wärmten ihre linke und rechte Seite, nur ihr Rücken wurde langsam kalt.
    »Und Sie?«, fragte sie Ulrich. »Wenn Ihr Freund nach Düsseldorf wechselt, kommen Sie dann auch zu uns?«
    Seine Zigarette leuchtete auf wie ein rotes Auge. Er blies weißen Rauch aus und beobachtete, wie er sich in der Dunkelheit auflöste.
    »Das hätten Sie wohl gerne«, meinte er dann.
    Sie lachte spöttisch. Nein, charmant konnte man ihn wirklich nicht nennen. Er warf seinen Zigarettenstummel weg, der in einem glühenden Bogen in die Nacht flog.
    »Noch einen Whisky?«, fragte Haupt und erhob sich. Ihre rechte Seite wurde von einer Sekunde auf die andere kalt.
    Nein danke, wollte sie sagen, aber dann dachte sie,
zum Teufel
, während sie noch eine Zigarette aus dem Etui fischte, das Ulrich ihr anbot.
    Seit jener Nacht liebte Clemens Orlanda. Es sollte aber noch eine Weile dauern, bis er sich dessen bewusst wurde. In jener Nacht spürte Clemens nur einen leichten Schmerz, eine dumpfe Enttäuschung, als Leopold ihn beiseitenahm und fragte, ob er nicht mit der Straßenbahn nach Hause fahren wolle. Es seien nur ein paar Schritte bis zur Station und Leopold würde währenddessen Orlanda nach Hause bringen.
    Später würde Clemens sich fragen, warum er damals nicht darauf bestanden hatte, Orlanda selbst zu begleiten. Warum er Leopold nicht zur Seite geschoben, weggedrängt, niedergerungen hatte. Warum er nicht wenigstens mitgefahren war.
    Vielleicht hätte es nichts geändert. Wer konnte schon sagen, wie die Dinge verlaufen wären, wenn ihre Geschichte anders begonnen hätte.
    In jener Nacht aber erkannte er den Ernst der Lage überhaupt nicht. In Gedanken war er mit seiner Karriere beschäftigt, mit der lächerlichen Frage, ob er nun an der Duisburger Oper bleiben oder ins Operettenhaus nach Düsseldorf wechseln sollte. Während Orlanda am Rhein neben ihm saß, zum Greifen nah, dachte er über diese idiotischen Dinge nach.
    Danach fuhr er mit der Schnellbahn nach Hause. Er starrte auf sein Spiegelbild in der Fensterscheibe des Zuges, und zur gleichen Zeit sah Leopold Orlanda an und Orlanda Leopold. Und als Clemens die Tür zu seiner kleinen Dachkammer
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