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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein
Autoren: Mayer Gina
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kein Pferdefuß dahinter, ich bin doch nicht naiv, ich habe mir die Sache genau überlegt.«
    »Wenn es nun so ist – warum bringt dich dann meine Mutter mit ihren Visionen so ins Grübeln?«
    »Weil sie doch gar nichts von Pressmann wusste. Ich habe ihr nur erzählt, dass ich eine Schneiderei eröffnen will, und sie fängt mit dieser komischen Stimme davon an, dass mich einer ins Verderben führen und mit Haut und Haaren vernichten will.«
    »Aber Gudrun«, meinte Mira. »Es liegt doch auf der Hand, dass man für ein solches Vorhaben Geld braucht. Du hast dir nun sogar schon die Räumlichkeiten für dein Geschäft ausgesucht, also konnte meine Mutter annehmen, dass du einen Finanzier gefunden hast. Und wer hat das Geld in dieser Welt? Die Männer. Meine Mutter hat keine übersinnlichen Fähigkeiten. Sie hat nur eins und eins zusammengezählt. So macht sie es immer.«
    Gudrun stützte ihr schönes Gesicht in die Hände. Ihre Schneidezähne zogen ihre Unterlippe nach innen und ließen sie dann langsam wieder nach außen gleiten. »Vielleicht hast du recht.« Sie nickte nach einer Weile. »Wahrscheinlich habe ich mich einfach verrückt machen lassen …«
    Mira beugte sich über den Tisch und legte ihre plumpe, rote Hand auf Gudruns schmale, weiße Finger. »Ganz bestimmt sogar.«
    Gudrun stieß erleichtert die Luft aus. Dann schüttelte sie den Kopf. »Mein Gott, wie dumm ich war! Ich bin froh, dass ich mit dir gesprochen habe.«
    »Aber was willst du denn jetzt tun?«
    Gudrun sah sie erstaunt an. »Das ist doch keine Frage. Ich werde die Sache beherzt angehen. Das ist meine Chance auf das ganz große Glück.«
    »Aber Gudrun, dieser Mann, wer weiß, was er bezweckt.«
    »Pressmann ist wirklich nicht so, wie du meinst. Er ist wie ein Vater. Hat sich immer eine Tochter gewünscht. Seine Frau auch.«
    »Ich weiß nicht …«
    »Aber ich weiß es jetzt. Du hast recht, ich habe mich durch deine Mutter ganz schön ins Bockshorn jagen lassen. Aber jetzt bin ich wieder bei Sinnen. Willst du dir die Räume morgen einmal gemeinsam mit mir ansehen, bevor ich sie anmiete?«
    »Morgen? Von neun bis sechs muss ich aber arbeiten. Außerdem sollte dich doch meine Mutter begleiten.«
    Gudrun lachte. »Das werde ich mir nun besser sparen. Nein, die Räumlichkeiten sind traumhaft, der Zeitpunkt ist günstig, ich muss nur mit beiden Händen zugreifen und mein Glück machen.«
    »Nun lass es dir doch noch ein paar Tage durch den Kopf gehen«, versuchte es Mira noch einmal. »Ich bitte dich, Gudrun!«
    Aber Gudrun war schon aufgesprungen, sie stand vor Mira, nahm ihr Gesicht in die Hände und küsste sie auf die Stirn. »Lass gut sein, Mira, ich war noch nie so klar und entschlossen wie heute. Glaub mir, ich weiß, was ich tue.«
    Die Tür zum Flur schlug hinter ihr zu, ehe Mira noch etwas sagen konnte. Sie blieb noch eine Weile sitzen, dann stand sie langsam auf und schob den Riegel vor. Danach begann sie sich auszuziehen. Gudrun hätte vermutlich die Finger von der Sache gelassen, wenn ich meinen Mund gehalten hätte, dachte sie, während sie sich die Bluse aufknöpfte und ihr Mieder aufhakte. Sie wusch sich das Gesicht, die Brust und die Achseln, löste ihr Haar und kämmte es aus. Meine Mutter kann nicht in die Zukunft schauen, niemand kann das, dachte sie. Aber was sie Gudrun gesagt hatte, war richtig. Und sie selbst hatte alles wieder zerstört, als sie die Worte ihrer Mutter entzaubert hatte.
    Nachdem sie ihr Nachthemd angezogen hatte, betrachtete sie ihr Gesicht in dem trüben Spiegel über dem Waschtisch. Ihre dichten schwarzen Brauen, die Oberlippe, fast ohne Einkerbungen, ein rundes Ebenbild der Unterlippe. Es waren die Züge ihrer Mutter.
    Was hast du nur gegen mich, Mirabella? hörte sie plötzlich ihre Stimme, so laut und deutlich, dass sie zusammenfuhr. »Das weißt du nur zu gut«, gab sie genauso klar zurück.
    Ihre Mutter hatte Gudrun etwas vorgegaukelt, aber Mira selbst hatte die Wahrheit gesagt. Und allein darauf kam es an, sagte sie sich, während sie das Licht löschte und unter die Bettdecke kroch. Sich an die Wahrheit zu halten und an das, was sicher war. Das hatte sie gelernt in harten und schmerzhaften Lektionen.
     
    Natürlich konnte sie nicht einschlafen. Sie atmete ruhig ein und aus, aber es half nichts. Sie machte sich Sorgen. So lange sie Gudrun kannte, hatte sie immer ihren Kopf durchgesetzt. Schon damals im Religionsunterricht bei Kaplan Sommermann. Sie hatte sich einfach geweigert, den Katechismus
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