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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin
Autoren: Bruce Sterling
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er als Seefahrer und Karawanenführer alle Schätze der Erde gekauft und wieder verkauft: Elfenbein aus Sansibar, Pfeffer aus Sumatra, Seidenstoffe aus Ferghana und Leder aus Cordoba. Nun hatte ihn die Liebe zum Gold nach Audoghast geführt, denn das Gold Afrikas war in der ganzen islamischen Welt berühmt wegen seiner besonderen Gediegenheit.
    In die ebenholzschwarze Haut von Doktor Bagayoko waren magische Symbole eingeritzt, und in seinem lehmstarken Haar steckten geschnitzte Knöchelchen. Er trug ein Gewand aus weißer ägyptischer Baumwolle, Amulette um den Hals sowie Kräuter und Fetische in den gebauschten Ärmeln. Er war in Audoghast geboren und Anhänger des Animismus; der Herrscher der Stadt hatte ihn zu seinem Leibarzt bestellt.
    Bagayokos Wissen um Pülverchen, Tränke und Salben machte ihn zu einem Intimus des Todes. Häufig reiste er in diplomatischer Mission in das Nachbarreich Ghana. Bei seinem letzten Aufenthalt dort waren durch eine Fügung des Schicksals die Gegner von Audoghast an Blattern erkrankt und gestorben.
    Zwischen den vier Männern herrschte jene vertrauliche Atmosphäre, die man in der Regel bei den Vornehmen und Gebildeten antraf.
    Sie hatten ihren Kaffee getrunken, und eine Sklavin entfernte das Geschirr. Ein junges Küchenmädchen kam mit einem Tablett aus Rohrgeflecht. Es war beladen mit Oliven, Ziegenkäse und gekochten Eiern, auf denen ein Hauch von Zinnober lag. In diesem Moment rief der Muezzin zum Abendgebet.
    »Ausgerechnet jetzt«, meinte Ibn Watunan nach einem kurzen Zögern.
    »Wir beten das nächste Mal doppelt so lange«, erklärte Manimenesch und holte sich eine Handvoll Oliven.
    »Weshalb gab es heute kein Mittaggebet?« erkundigte sich Watunan.
    »Unser Muezzin vergaß es«, entgegnete Khayali.
    Watunan hob die struppigen Augenbrauen. »Das klingt nach lockerer Moral.«
    »Der Muezzin ist neu«, warf Doktor Bagayoko ein. »Sein Vorgänger war pflichtbewußter, aber leider erkrankte er.« Bagayoko lächelte weltmännisch und knabberte an einem Stück Käse.
    »Uns Einheimischen gefällt der neue Muezzin besser«, meinte der Dichter. »Er ist einer von uns, im Gegensatz zu dem Burschen von vorher. Der stammte aus Fez. Unser Muezzin schläft mit einem Christenweib. Das ist sehr amüsant.«
    »Ihr habt hier Christen?« wunderte sich Watunan.
    »Eine Koptengruppe aus Äthiopien«, berichtete Manimenesch. »Und Nestorianer – ein Ehepaar.«
    »Ach so.« Watunan entspannte sich. »Einen Moment lang dachte ich schon an echte feringhe- Christen – aus Europa.«
    »Woher?« Manimenesch sah ihn verdutzt an.
    »Das liegt weit weg«, meinte Ibn Watunan lächelnd. »Häßliche kleine Länder, mit denen man kaum Geschäfte machen kann.«
    »Früher einmal gab es in Europa mächtige Reiche«, warf der kenntnisreiche Khayal ein. »Das Römische Reich besaß fast die gleiche Ausdehnung wie die moderne zivilisierte Welt.«
    Watunan nickte. »Ich sah Neu-Rom, das sie Byzanz nennen. Es gibt dort Reiterscharen, die Rüstungen tragen, wie unsere Nachbarn in Ghana. Wilde Kämpfer.«
    Bagayoko streute Salz auf ein Ei. »Die Christen fressen kleine Kinder.«
    Watunan lächelte. »Ich kann euch versichern, daß die Bewohner von Byzanz weit entfernt sind von solcher Barbarei.«
    »Tatsächlich?« fragte Bagayoko. »Nun, unsere Christen tun es.«
    Watunan nickte erfreut. »Großartig! Man wird der Knaben müde, mit denen man sich auf langen Reisen begnügen muß. Eure Frauen sind schön. Mir fiel auf, daß sie keine Schleier tragen.«
    Khayali erhob die Stimme und sang: »Erscheint eine Frau aus Audoghast, dann weinen die Mädchen von Fez, dann flüchten die Damen von Tripolis in Schränke, und die Weiber von Ghana nehmen den Strick!«
    »Das hohe Ansehen, das unsere Frauen genießen, macht uns stolz«, erklärte Manimenesch. »Nicht umsonst erzielen wir für sie Spitzenpreise.«
    Drunten auf dem Marktplatz zündeten die Händler kleine Öllampen an, die ihren flackernden Schein über die Zeltwände und Wassertröge warfen. Ein Soldatentrupp des Stadtfürsten marschierte mit Eisenspeeren, Schilden und Kettenhemden über den Platz zum Osttor, um dort Nachtwache zu halten. Sklaven mit schweren Wasserkrügen schwatzten am Brunnen.
    »Um einen der Stände hat sich eine dichte Menschenmenge geschart«, stellte Bagayoko fest.
    »Ganz recht«, bestätigte Watunan. »Was gibt es dort unten? Etwas Neues, das den Markt beeinflussen könnte?«
    Bagayoko wischte mit ein paar Minze- und Salatblättern die
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