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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin
Autoren: Bruce Sterling
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wird unser Poet eine Ode vortragen, die er eigens für diesen Anlaß komponiert hat.«
    Khayali begann seine zweisaitige Gitarre zu stimmen. »Ich bin aber auch gern bereit, zu jedem anderen gewünschten Thema zwölfzeilige lyrische Ghazals zu dichten.«
    »Und sobald unsere Verdauung durch Epigramme besänftigt ist«, fuhr der Gastgeber fort, »wollen wir uns der vielgerühmten Tanzkunst unserer Besucherinnen widmen. Danach werden wir uns in die inneren Gemächer zurückziehen, um die anderen hochgepriesenen Vorzüge der Damen zu genießen.«
    »Euer Bote, Herr!« rief der Torwächter. »Er wartet ergebenst mit dem Wahrsager.«
    »Ach«, entgegnete Manimenesch, »das ist mir ganz entfallen.«
    »Halb so schlimm«, meinte Watunan, den die Pläne des Hausherrn für den Abend angenehm erregt hatten.
    »Werfen wir doch einen Blick auf ihn!« schlug Bagayoko vor. »Seine Häßlichkeit wird den Glanz dieser Frauen noch erhöhen.«
    »Also gut.« Manimenesch winkte. »Er möge erscheinen.«
    Sidi, der Bote, kam durch den Garten näher. Ihm folgte auf Krücken quälend langsam der Wahrsager.
    Wie ein verkrüppeltes Insekt schleppte sich der Mann ins Lampenlicht. Sein weiter staubgrauer Mantel war fleckig von Schweiß und anderen namenlosen Aussonderungen. Es war ein Albino. Der Star trübte seine rötlichen Augen, und die Lepra hatte ihm einen Fuß und mehrere Finger zerfressen. Offenbar trug er einen Buckel, denn eine Schulter hing tiefer als die andere, und der Beinstumpf zeigte Spuren von Röhrenwürmern.
    »Beim Barte des Propheten!« rief der Dichter. »Er ist fürwahr von unübertroffener Häßlichkeit.«
    Elfelilet rümpfte die Nase. »Er verströmt einen Pesthauch!«
    Sidi meldete sich zu Wort. »Wir kamen so schnell wir konnten, Herr.«
    »Lauf ins Haus, mein Junge!« befahl Manimenesch. »Weiche zehn Zimtstangen in einem Eimer mit Wasser ein, bring ihn her und übergieße den Mann damit!«
    Sidi gehorchte.
    Watunan starrte den abstoßenden Fremden an, der am Rande des Lichts wartete, auf einem Bein schwankend. »Wie kommt es, mein Freund, daß du noch am Leben bist?«
    »Ich habe meine Blicke von dieser Welt abgekehrt«, entgegnete der Dulder. »Ich wandte mich Gott zu, und er überschüttete mich mit Wissen. Ich besitze Kenntnisse, die zuviel für den Leib eines Sterblichen sind.«
    »Aber Gott ist gnädig«, widersprach Watunan. »Wie kannst du behaupten, dies sei sein Werk?«
    »Wer Gott nicht fürchtet,« meinte der Wahrsager, »der tut es nach meinem Anblick.« Der ekelerregende Albino ließ sich unter sichtlichen Schmerzen im Sand vor der Säulenhalle nieder. Dann fuhr er fort: »Du hast recht, Karawanenmeister, daß der Tod eine Gnade für mich wäre. Aber der Tod holt jeden Menschen zur vorbestimmten Stunde – mich und euch, alle hier.«
    Manimenesch räusperte sich. »Dann kannst du unsere Zukunft sehen?«
    »Ich sehe die Welt«, erklärte der Dulder. »Das Geschick eines einzelnen Menschen ist wie der Weg einer Ameise durch ihren Haufen.«
    Sidi kam ins Freie und goß einen Eimer Duftwasser über dem Krüppel aus. Der Wahrsager fing etwas davon mit seinen verstümmelten Händen auf und trank. »Ich danke dir, mein Junge.« Er richtete die umwölkten Augen auf den Halbwüchsigen. »Deine Kinder werden einst gelb sein.«
    Sidi lachte verwirrt. »Gelb? Weshalb denn?«
    »Weil deine Frauen gelb sein werden.«
    Die Tanzmädchen, die sich ans andere Ende der Tafel zurückgezogen hatten, kicherten im Verein. Bagayoko fischte eine Goldmünze aus seinem Ärmel. »Ich schenke dir diesen goldenen Dirhan, wenn du mich deinen Leib betrachten läßt.«
    Elfelilet zog schelmisch die Stirn kraus und schlug die schwarzgefärbten Wimpern nieder. »O bitte, hochgelehrter Doktor – erspart uns diesen Anblick!«
    »Du wirst meinen Leib zu Gesicht bekommen, Herr, wenn du etwas Geduld hast«, erklärte der Dulder. »Noch lachen die Bewohner von Audoghast über meine Weissagungen. Ich bin dazu verdammt, die Wahrheit zu künden, und da sie hart und grausam ist, klingt sie absurd. Aber mit der Zeit wird mein Ruhm wachsen und schließlich bis ans Ohr des Fürsten dringen. Weil ich in seinen Augen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstelle, wird er dir befehlen, mich zu beseitigen. Du wirst daraufhin Natterngiftpulver – dein Lieblingsgift – in eine Schale mit Kichererbsensuppe streuen, die ich von einem Kunden erhalte. Ich nehme es dir nicht übel. Du tust nur deine Bürgerpflicht und erlöst mich gleichzeitig von
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