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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner
Autoren: Bauerdick Rolf
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Konjaki. Aber Bier war besser. Bei der Hitze am Ofen hat es das Blei aus meinem Körper herausgeschwemmt, ausgeschwitzt und weggespült. Ich sag dir, hätte ich kein Bier getrunken, wäre es längst aus mit mir.«
    Als die Giftschleudern in Copşa Mică abgeschaltet wurden, verlor Stelian Coseriar weit mehr als Arbeit und Lohn. Mit der demütigenden Einsicht, mit Mitte vierzig nicht mehr gebraucht zu werden, musste er sich auch von seinem Lebenstraum verabschieden: ein großes Haus für Kinder und Enkel. »Unter Ceauşescu«, so versicherten er und Ionina, »lebten wir sehr viel besser.« Wie oft dieser Satz den Verlierern der wirtschaftlichen Liberalisierung über die Lippen kam, ist nicht zu zählen, doch selten sprach daraus eine Verklärung der Vergangenheit oder eine klammheimliche Sehnsucht nach der Wiederkehr des Despoten. Eher die bittere Erkenntnis, dass Freiheit allein nicht satt macht. 150 Euro Rente werden Stelian monatlich ausgezahlt. Die Hälfte davon verschlingen schmerzstillende Medikamente und Antibiotika. »Früher wies man uns den Dreck zu, aber wir hatten ein Auskommen. Nun leben wir von der Hand in den Mund.« Obschon ihn seine Lunge quält und fast alle seine einstigen Kollegen unter der Erde liegen, waren die Jahre in der schwarzen Stadt für Stelian »gute Jahre«. Vier Söhne und drei Töchter wurden geboren, und mit vorerst fünfzehn Enkelkindern und zwei Urenkeln dürfte die Zukunft der Familie Coseriar gesichert sein. Stelian und Ioninas Zukunftswünsche muten beschämend bescheiden an: noch ein wenig leben und jeden Tag Ciorba und Polenta, Kuttelsuppe und Maisbrei. Und sonntags ein Gulasch.
    Längst hat das Satellitenbild aus National Geographic nur noch historischen Wert. Das Schwarz ist verschwunden. Das Buntmetallwerk wurde saniert und zuerst von holländischen, dann von schwedischen und später von kanadischen Unternehmen weitergeführt. Welche internationale Holding den Betrieb derzeit auch besitzen mag, anscheinend lassen sich auch unter den Umweltauflagen der Europäischen Union mit Blei, Kupfer und Zink noch Profite erwirtschaften. Von der alten Lampenschwarzfabrik ragt nur noch ein fossiles Gerippe aus Beton und Stahl in den Himmel. In rasendem Tempo setzte die Natur Kräfte zu ihrer Selbstheilung frei. Zehn, zwanzig oder tausend Jahre, für die Natur spielt Zeit keine Rolle. Für den Menschen schon. Bei unserem letzten Treffen 2012 lebten von Stelians Kollegen noch zwei. Er selbst war gerade achtundsechzig geworden und musste wieder zur Diagnose ins Hospital nach Aiud. Dort sollte untersucht werden, ob Metastasen von der Lunge in den Rücken gewandert waren, denn Stelian litt starke Schmerzen. Ionina sorgte sich nicht nur um ihren Mann, sondern auch um die Beschaffung des obligatorischen Schmiergeldes, ohne das, wie sie sagte, die Ärzte erst gar nicht mit der Behandlung beginnen würden. Als ich mich von den beiden verabschiedete, nahmen wir uns vor, beim nächsten Wiedersehen zusammen ein Fläschchen Konjaki zu trinken. »Keinen Fusel«, sagte Ionina, »nur ganz feines Zeug.« Stelian hatte schwach genickt, gelächelt und mir mit matter Geste die fünf Finger einer Hand gezeigt. »Er meint fünf Sterne«, erklärte seine Frau, »ich sag ja, nur den Besten.« Die Zahl cinci vermochte der gute Stelian nicht mehr auszusprechen. Er bekam nicht mehr genug Luft.
    Von den zwei Dutzend Roma mit dem Namen Victor Calderar, die ich im Lauf der Jahre treffen sollte, lebte einer in Copşa Mică. Ich erinnere mich gut an ihn, weil er mich 1990 bat, ihm einmal »echtes deutsches Geld« zu zeigen. Lange hatte der Fünfzigjährige eine Zwanzig-Mark-Note betrachtet, hatte den Schein gedreht und gewendet, ihn gegen das Licht gehalten und ihn mir zufrieden und mit anerkennendem Nicken zurückgereicht. Victor Calderar aus Klein-Kopisch legte Wert darauf, auf keinen Fall ein Tzigan genannt zu werden und zwar mit der Begründung, die Zigeuner würden im Gegensatz zu ihm, einem Rom, erstens faul sein, zweitens keinen Bart tragen und drittens lieber betteln und stehlen, anstatt einer ehrbaren Arbeit nachzugehen. Nebenbei bemerkt, sollte ich später viele Tzigani treffen, die auf diesem Namen bestanden, weil sie umgekehrt die Roma für Kriminelle hielten, mit denen sie auf keinen Fall in einen Topf geworfen werden wollten. Einige der Roma, die hinter der schwarzen Fabrik siedelten, bezeichneten sich als Kalderasch. Nur war von dem Stolz, zum Stamm der Kesselschmiede zu gehören, allein der Name
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