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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner
Autoren: Bauerdick Rolf
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gefährlicher noch als der allgegenwärtige Ruß waren die toxischen Ausdünstungen einer gigantischen Buntmetallfabrik. Neununddreißig lange Jahre hatte Schörrwerth hier geschafft. Mit dreizehn belud er Eisenbahnwaggons mit Schlacke, diente sich hoch zum Schmelzer, um schließlich als Kontrolleur für die Wartung von Elektromotoren und Pumpen verantwortlich zu sein.
    »Für die schlimmsten Arbeiten wurden ungelernte Rumänen und Straffällige herangezogen. Vor allem aber Zigeuner.« Sie mussten mit Schaufeln in die Brandkessel klettern und den Dreck aus den Ecken kratzen, wobei ein Gemisch aus Blei und Zink, Arsen und Schwefelsäure ihre Gesundheit ruinierte und ihre Lungen zerfraß. Mitgefühl schwang mit, wenn Hans Schörrwerth über »die Schwarzen« sprach. Weil er sich in Zeiten der Diktatur nicht den Respekt für seine Mitmenschen hatte nehmen lassen, hatte sich der Sachse eine unter seinen Landsleuten eher seltene Achtung vor den Zigeunern bewahrt. »Die wurden regelrecht verheizt. Morgens traten sie hungrig zur Schicht an, und wenn gegen die Bleivergiftung eine Ration Milch verteilt wurde, nahmen sie die Milch mit nach Hause für ihre Kinder.«
    Einer dieser Männer war Stelian Coseriar. Ich lernte ihn in Blaj kennen, einem 22 000-Einwohner-Städtchen eine halbe Autostunde von Copşa Mică entfernt. Blaj liegt im Herzen Siebenbürgens und ist für mich seit Jahren weit mehr als eine Anlaufstelle auf meinen Rumänienreisen. Die engagierten Mitarbeiter der örtlichen Caritas haben ebenso dafür gesorgt, dass ich mich in dem alten sächsischen Blasendorf zu Hause fühle, wie mein Freund Lucian Mosneag, daselbst Priester für knapp viertausend Roma, die sich in Blaj auf drei Gemeinden verteilen. Eine davon liegt in Barbu Liautiarul, einem quicklebendigen Viertel mit verwinkelten Gassen, bescheidenen bunten Häuschen und freundlichen Menschen. Bei meinem ersten Besuch allerdings, ich meine, es war 2005, war Stelian Coseriars Ehefrau Ionina mir alles andere als gewogen. Aus einer kritischen Distanz heraus beobachtete sie argwöhnisch meine Schritte und registrierte genau, wen und was ich in ihrer Siedlung fotografierte. Auf einigen Aufnahmen ist sie im Hintergrund zu sehen, mit misstrauischem Blick. Doch der ist längst einer herzlichen Verbundenheit gewichen.
    Als Ionina mir ihren Ehemann vorstellte, war Stelian Anfang sechzig und bereits von seiner Krebserkrankung gezeichnet. Er war von schmächtiger Statur und schien sich in seiner ausgebeulten Reebok-Jogginghose zu verlieren. Niemals erlebte ich Stelian launig oder mürrisch. Sein stachelbärtiges Gesicht strahlte gütige Sanftmut aus, und hinter den Gläsern seiner dicken Hornbrille blitzten die wachen Augen eines Schalks auf. Bisweilen hielt er bei seinen Erzählungen inne. Wenn er dann eine Weile keuchend nach Luft rang, zahlte Stelian den Preis für die Jahre in Copşa Mică.
    Bis zur Wende arbeiteten 1500 Männer allein in der Lampenschwarzfabrik. Dreihundert Männer aus der Belegschaft kamen aus Blaj, gut die Hälfte davon waren Roma aus den Quartieren Barbu Liautiarul und Plopilior. Um vier Uhr dreißig war für sie die Nacht zu Ende, denn um fünf rollte der Zug über Teius in Richtung schwarze Stadt. Bei unserer ersten Begegnung zählte Stelian einige Namen auf. Er kam auf elf. Die Namen ehemaliger Kollegen, die noch lebten. Ein Jahr später zählte er nur noch sieben oder acht. Im Jahr 2010 waren es vier. Keiner der Verstorbenen war annähernd siebzig geworden.
    »Die Arbeit in der Fabrik war gut, aber ungerecht verteilt.« Stelian sagte das nicht anklagend, eher wie eine Feststellung. »Die Roma mussten die gefährlichsten und schmutzigsten Arbeiten erledigen. Alle, die mit Arsen, Blei und Gold zu tun hatten, starben bald an Lungen- und Herzkrankheiten. Ich selbst war zuerst in der Rußproduktion, später in der Bleigewinnung. An meinem Platz war es sehr heiß, nichts funktionierte, und ständig waren die Öfen kaputt. Wenn der Schamott zerbröckelte, mussten wir in die Kessel kriechen und die Risse wieder zumauern.« Für den Umstand, überhaupt noch am Leben zu sein, hatte Stelian eine ihm plausible, aber auch reichlich abenteuerlich klingende Erklärung: Bier statt Schnaps!
    »Mein Glück war, dass mir von dem Zeug immer übel wurde. Ich habe den billigen Alkohol nie vertragen. Alle Arbeitskollegen, die zu oft und zu viel harte Sachen getrunken haben, sind tot. Alle! Aber ich habe immer nur Bier getrunken. Höchstens feiertags mal einen
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