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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner
Autoren: Bauerdick Rolf
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slowakisch spricht. In Rumänien grenzen sich stolze Kalderasch vom Stamm der Kesselschmiede von dem Heer verarmter Vatrasi-Herdzigeuner ab, die jede zigane Identität verloren haben. In Bulgarien finden sich christliche walachische Roma neben muslimischen und türkischsprachigen Xoraxane. Derweil sich französische Manouches, deutsche Sinti und spanische Cale als nationale Minderheiten in ihren Heimatländern weitgehend integriert haben, leben die Zigeuner in den postkommunistischen Ländern zumeist isoliert am Rande der Dörfer und Städte, am Rande Europas, am Rande der Zeit. Wo immer sie auftauchten, blieben sie die Fremden. Gerüchte eilten ihnen voraus, Furcht vor ihrer Andersartigkeit trat ihnen entgegen, eine Furcht, die oft umschlug in Hass und Verfolgung.
    »So sind einmal die Europäer!«, rief 1840 der Dichter und Historiker Mihail Kogălniceanu in einem leidenschaftlichen Appell gegen Gleichgültigkeit und Herzlosigkeit aus. Er beklagte, die selbstgerechten Intellektuellen würden philanthropische Vereine zur Abschaffung der Sklaverei in Amerika bilden, »während vierhunderttausend Zigeuner im eigenen Schoße Europas noch unter dem Sklavenjoch seufzen«. In seinen Lebenserinnerungen spricht Kogălniceanu, der später der erste rumänische Präsident wurde, von einem »schrecklichen, himmelschreienden Schauspiel«, das er in jungen Jahren erlebte und das ein Beweggrund gewesen sein mag, emphatisch für die Befreiung der Zigeuner zu kämpfen.
    »Noch in meiner Jugend sah ich in den Straßen von Jassy menschliche Wesen mit Ketten an Händen und Füßen, einige trugen sogar eiserne Stirnbänder. Sie wurden grausam geschlagen, ausgehungert, geräuchert, in private Gefängnisse gesteckt, nackt in den Schnee oder in vereiste Flüsse geworfen. Und dann die Missachtung der heiligsten Bindung, der Familie: das Weib wurde dem Manne, die Tochter den Eltern, die Kinder ihren Zeugern entrissen. Gleich Rindern verkaufte man sie in alle vier Himmelsrichtungen des Landes. Weder die Menschlichkeit noch die Religion, auch nicht das Zivilrecht schützten diese bedauernswerten Wesen.«
    Als eine fast fünfhundertjährige Geschichte der Leibeigenschaft der Zigeuner in den Fürstentümern Moldau und Walachien um 1860 endlich ihr Ende fand, hatten sich die Leidenserfahrungen längst fest im kollektiven Gedächtnis der Zigeuner verankert, um sich fortan von Generation zu Generation zu tradieren. Die Zeit der Versklavung hat bei manchen Stämmen einen ziganen Stolz und eine hohe Wertschätzung von Freiheit und Unabhängigkeit hervorgebracht, als Schattenseite jedoch auch erschreckende Abhängigkeiten und eine lethargische Unmündigkeit begünstigt.
    Vor dem Zweiten Weltkrieg kursierten in Rumänien ärztliche Berichte, in denen die Roma als »Schwarze Pest« beschimpft wurden. Der faschistische Marshall Ion Antonescu, bis 1944 mit dem nationalsozialistischen Deutschland liiert, stellte die Zigeuner auf eine Stufe mit »Mäusen, Ratten, Krähen, Vagabunden und Juden«, just zu der Zeit, als der Reichsführer der SS und Polizei-Chef Heinrich Himmler Ende 1942 mit dem »Auschwitzbefehl« ihre Einweisung in Konzentrationslager und ihre »totale Liquidierung« anordnete. Die Zahl der von den Nazi-Schergen Ermordeten wird auf mindestens 220 000, meistens sogar auf eine halbe Millionen Zigeuner geschätzt. Sie wurden in Auschwitz-Birkenau vergast, durch Arbeit, Hunger und Krankheit vernichtet oder in medizinischen Experimenten zu Tode gequält. In Rumänien ließ Antonescu etwa 90 000 Zigeuner deportieren, teils an die Ostfront, wo rumänische Soldaten mit der deutschen Wehrmacht in Stalingrad kämpften, teils nach Transnistrien und in die Lager der Nazis, wo allein 36 000 Roma, vorwiegend Wandernomaden vom Stamm der Kortorare, elendig ums Leben kamen.
    Nicolai Ceauşescu schließlich machte in einem despotischen Akt kultureller Willkür die Roma per Dekret zu ethnischen Rumänen. Zigeuner gab es demnach in Rumänien nicht. Ceauşescus Kollektivwahn kannte im Land nationale Minderheiten wie die Ungarn oder die Deutschen; die Zigeuner hingegen wurden als »Romani« eingestuft, als »Rumänen auf niederem Kulturniveau«. In seinem aberwitzigen Plan, dem Agrarland Rumänien die Gesetze einer sozialistischen Industrienation aufzudrücken, versagte er den Zigeunern jegliche Minderheitenrechte, die Pflege ihres Handwerks, ihres Brauchtums und ihrer Sprache. Ein Gesetz gegen »das soziale Parasitentum« hatte zur Folge, dass sie in verslumten
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