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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner
Autoren: Bauerdick Rolf
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zwischen all den Pferdekutschen seltsam deplatziert ein schwarzer Porsche 911 mit albanischem Kennzeichen. Wochenlang stand er da, verstaubt, unbewegt und ungewaschen, wie ein trotziger Beweis, dass Reichtum und Prestige für den wachsam Wartenden unverhofft Wirklichkeit werden können, ohne dass ihm der Lohn des Ausharrens wirklich nützt.
    Geschlechtsspezifisch korrekt muss man sagen, dass die Kultur des Wartens unter Männern ungleich ausgeprägter ist als unter Frauen. Weil es der Romni, um derlei mentale Kunstfertigkeit auszubilden, ganz einfach an Zeit mangelt, allein schon wegen der Schar der Kinder und der echten Herausforderung, tagtäglich den Mangel zu verwalten und dennoch etwas Essbares in den Kochtopf zu zaubern.
    Während ich die Menschen in Shutka in einem Moment wegen ihrer wirtschaftlichen Not bedauerte, bewunderte ich sie schon im nächsten Augenblick für ihre stoische Ruhe und die heitere Gelassenheit, mit der sie ihren Alltag akzeptierten. Wann immer mich als Gadscho das nervöse Gefühl beschlich, die Zeit rinne mir aus den Händen, hielten die Zigeuner den Lauf der Welt an. Niemand konnte dies trefflicher als der herzerfrischende Zabit Memedov. Zabit war einer der begnadeten Laiendarsteller in Zeit der Zigeuner und Schwarze Katze, weißer Kater, den legendären Spielfilmen des serbischen Regisseurs Emir Kusturica. In Zeit der Zigeuner, gedreht in den mazedonischen Roma-Siedlungen Shutka und Topana, spielt Zabit den schrägen Galan Zabit, der fiedelnd und singend, tänzelnd und scharwenzelnd die leibespralle Chaditza im Liebesrausch zum Schmelzen bringt. Die beiden Turtelnden erbringen den Beweis, dass die flüchtige Laune der körperlichen Attraktion nichts ist im Vergleich zum Einklang gemeinsam pulsierender Herzen. Dass Zabit Memedov in dieser Rolle des wundervollen Charmeurs im Grunde sich selber spielt, daran ist nicht zu zweifeln.
    Wenn Zabit nicht vor der Kamera stand, arbeitete er in Shutka auf dem Gemüsemarkt und verkaufte Kartoffeln. Kam keine Kundschaft, vertrieb er sich die Zeit mit einem weißen Vögelchen aus Plastik. Dessen Kopf war mit Blei beschwert, so dass man den Vogel mit etwas Geschick mit dem Schnabel auf den Fingerspitzen balancieren konnte. Stundenlang und mit wachsender Begeisterung beschäftigte sich Zabit mit dem komischen Ding, wobei er lachte und ein Gebiss entblößte, das nur noch aus einer Fassade kariöser Ruinen bestand. So ein Mensch war natürlich eine Idealbesetzung für Filme, in denen Truthähne zu magischen Sonnenvögeln mutieren, Schweine Trabbis aus Presspappe fressen und Telegrafenmasten vorm Telefonieren zwecks besserer Tonübertragung mit der Gießkanne gewässert werden müssen. Ich verknipste eine Filmrolle, und als ich ihm bei meinem nächsten Besuch in Shutka ein großformatiges Foto von ihm und dem Plastikvogel mitbrachte, nickte Zabit anerkennend und hängte das Bild an seinem Marktstand mit einer Klammer an einer Wäscheleine über den Kartoffeln auf. Sodann bat er höflich um weitere Fotos, wobei er mich anlächelte mit einem nagelneuen Gebiss aus lauter glänzend polierten Goldzähnen. In dem Moment erinnerte mich Zabit an die Romanfigur des zahnlosen Zigeuners Melchiades, der in Gabriel GarcÍa Márquez’ Hundert Jahre Einsamkeit die Bewohner von Maconda verblüfft, weil eine Zahnprothese sein welkes Greisengesicht in das Antlitz eines strahlenden Jünglings zurückverwandelt. Niemand sonst als Zabit Memedov hätte in Kusturicas Schwarze Katze, weißer Kater den herrlich schrulligen Großvater Zarije mimen können, der die Zeit staut, indem er in Trance seinen eigenen Tod simuliert und gekühlt unter einem mächtigen Eisklotz in einer Dachkammer dem passenden Moment seiner Auferstehung entgegensieht.
    Nun muss, was auf der Kinoleinwand möglich ist, im wirklichen Leben nicht zwangsläufig unmöglich sein. Aufzuerstehen aus Ruinen, aufzuwachen aus dem Schlaf der Apathie, eine Zeit lang sah es so aus, als könne dies gelingen, nicht nur den Zigeunern, sondern allen Bewohnern in dem rumänischen Dorf Vulcan, dem Siebenbürgischen Weiler Wolkendorf. Aber es gelang nicht. Leider, leider, so muss berichtet werden.
    In Wolkendorf lebten Zigeuner vom Familienverband der Gabors. Nur ein einziges Mal sah ich einen der Männer sommertags etwas anderes tun, als am Straßenrand zu hocken und zu rauchen. Im Herbst erklärten sie, zum Holzsammeln fehle die Zeit, weil sie auf einen »Scheffe« warten müssten, der ihnen Arbeit versprochen hatte. Im
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