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Zerfetzte Flaggen

Zerfetzte Flaggen

Titel: Zerfetzte Flaggen
Autoren: Alexander Kent
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achtern, und Bolitho atmete tief und langsam aus.
    Leutnant George Probyn, sein unmittelbarer Vorgesetzer, kam öfter zu spät zur Wachablösung, übrigens auch zum sonstigen Dienst.
    Er war ein Sonderling in der Messe, mürrisch, streitsüchtig, verbittert, aber aus welchem Grund, das hatte Bolitho noch nicht herausgefunden.
    Er sah ihn die Steuerbord-Schanztreppe heraufkommen, vierschrötig, unordentlich, sich argwöhnisch umschauend.
    Bolitho trat ihm entgegen. »Die Wache ist achtern angetreten, Mr. Probyn.«
    Probyn wischte sich das Gesicht und schneuzte dann in ein rotes Taschentuch.
    »Ich nehme an, der Captain hat nach mir gefragt?« Selbst diese paar Worte klangen bei ihm feindselig.
    »Er hat gemerkt, daß Sie nicht da waren.« Bolitho roch Branntwein und fügte hinzu: »Aber er hat sich damit zufriedengegeben.«
    Probyn winkte den wachhabenden Steuermannsmaaten herbei und sah flüchtig das Logbuch durch, das dieser ihm unter eine Laterne hielt.
    Bolitho sagte müde: »Keine besonderen Vorkommnisse. Ein Seemann ist verletzt und ins Lazarett gebracht worden. Er fiel vom Bootsdavit.«
    Probyn schnaubte verächtlich. »Schande.« Er klappte das Buch zu. »Sie sind abgelöst.« Finster brütend blickte er Bolitho nach und fügte drohend hinzu: »Wenn ich glauben müßte, daß mir jemand hinter meinem Rücken Schwierigkeiten macht…«
    Bolitho drehte sich um und verbarg seinen Ärger. Meckere nicht, du Trunkenbold, die machst du dir schon selbst, dachte er.
    Probyns grobe, polternde Stimme folgte ihm auf der Schanztreppe, als dieser seiner Wache die üblichen Anweisungen gab.
    Während er leichtfüßig den Niedergang hinablief und dann weiterging zur Messe, überlegte Bolitho, was der Kapitän wohl mit Cairns zu besprechen habe.
    Einmal unter Deck, umfing ihn die Trojan und hüllte ihn ein mit ihrer ganzen Vertrautheit. Die Gerüche nach Teer, Hanf, Bilge und Menschenleibern gehörten genauso zu ihr wie ihre Bordwände.
    Mackenzie, der dienstälteste Messesteward, begegnete ihm mit aufmunterndem Lächeln. Er hatte seinen Dienst als Toppsgast aufgeben müssen, als er aus der Takelage fiel und infolge eines dreifachen Beinbruches fürs Leben zum Krüppel wurde. Mackenzie genoß es, von jedermann bemitleidet zu werden, und seine Verletzung hatte ihm immerhin zu einer so bequemen Stellung verhelfen, wie manch einer auf des Königs Schiffen sie sich gewünscht hätte.
    »Ich habe noch etwas Kaffee, Sir, kochend heiß!« Er hatte denselben weichen, schottischen Akzent wie Cairns. Bolitho schälte sich aus seinem Überrock und reichte diesen samt seinem Hut dem Schiffsjungen Logan, der den Messestewards half.
    »Nehme ich gern, danke.«
    Die Offiziersmesse, die sich am Heck über die ganze Schiffsbreite erstreckte, war voll ziehender Rauchschwaden und roch nach dem ihr eigentümlichen Gemisch von Wein und Käse. Die großen Heckfenster ganz achtern waren schon in Dunkelheit getaucht, nur beim Überholen sah man gelegentlich ein Licht auftauchen wie einen verirrten Stern.
    Kleine Kabinen säumten die Seiten, Verschlagen ähnlich, kaum mehr als Schutzwände, die man abriß, wenn das Schiff gefechtsklar gemacht wurde: winzige Schutzhäfen der Privatsphäre, die des Eigners Koje, Seekiste und ein bißchen Platz zum Aufhängen der Garderobe enthielten. Außer den Arrestzellen waren dies die einzigen Räume des Schiffes, in denen man einmal für sich allem sein konntet Direkt darüber, in einer Kabine, die in ihrer Größe etwa dem Gesamtraum der übrigen Offizierskabinen entsprach, lag das Reich des Kommandanten. Im selben Deck waren auch der Erste Offizier und der Navigationsoffizier untergebracht, damit sie in der Nähe des Achterdecks und des Ruders logierten.
    Aber hier in der Messe verbrachten sie alle gemeinsam ihre wachfreie Zeit, diskutierten ihre Probleme, ihre Hoffnungen, ihre Befürchtungen, nahmen ihre Mahlzeiten ein und tranken ihren Wein: die sechs Wachoffiziere, zwei Marineinfanterieoffiziere, der Navigationsoffizier, der Zahlmeister und der Arzt. Die Messe war sicherlich sehr eng für so viele Menschen, aber verglichen mit den Quartieren unter der Wasserlinie, in denen die Kadetten, Fähnriche, Deckoffiziere und Spezialisten wohnten – ganz zu schweigen von der Unterbringung der gemeinen Seeleute und Seesoldaten – war sie geradezu luxuriös.
    Dalyell, der Fü nfte Offizier, saß mit gekreuzten Beinen, die Füße auf einem kleinen Faß, unter den Heckfenstern. In einer Hand hielt er eine lange
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