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Zerfetzte Flaggen

Zerfetzte Flaggen

Titel: Zerfetzte Flaggen
Autoren: Alexander Kent
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angesehen werden – schien sie zu übergehen. Pears war jedoch Realist und wußte, daß die Zeit noch kommen würde, da er und sein Schiff so eingesetzt werden würden, wie es beabsichtigt gewesen war, als Trojans stattlicher Kiel vor genau neun Jahren zum ersten Mal Salzwasser gekostet hatte. Kaperschiffe und Stoßtruppunternehmen waren eine Sache, wenn aber die Franzosen offen in den Konflikt eingriffen und ihre Linienschiffe in diesen Gewässern operierten, war dies etwas ganz anderes; die Trojan und ihre schweren Schwesterschiffe konnten dann ihren wahren Wert zeigen. Er blickte auf, als der vor der Kajütstür Posten stehende Seesoldat die Hacken zusammenknallte; einen Augenblick später trat der Erste Offizier ein.
    »Ich habe in der Messe Bescheid sagen lassen, Sir. Alle Offiziere werden pünktlich hier sein.«
    »Gut.«
    Pears brauchte seinen Steward kaum anzusehen, und schon war dieser bei ihm und schenkte zwei große Gläser Bordeaux ein.
    »Tatsache ist, Mr. Cairns –«, Pears hob prüfend sein Glas gegen die nächste Lampe –, »daß man einen Krieg auf die Dauer nicht defensiv führen kann. New York ist ein Brückenkopf in einem Land, das täglich rebellischer wird. In Philadelphia liegen die Dinge kaum anders. Stoßtruppunternehmen, Geplänkel, wir verbrennen hier ein Fort, dort einen Außenposten, sie fangen einen unserer Transporte ab oder locken eine Patrouille in den Hinterhalt. Was ist New York? Eine belagerte Stadt. Eine Oase auf Zeit. Wie lange noch?«
    Cairns schwieg und nippte an seinem Bordeaux, in Gedanken mehr bei den Geräuschen außerhalb der Kajüte, dem Heulen des Windes in der Takelage, dem Ächzen der Stengen und Rahen.
    Pears sah seinen abwesenden Gesichtsausdruck und lächelte in sich hinein. Cairns war ein guter Erster Offizier, vielleicht der beste, den er je hatte. Er hätte ein eigenes Kommando verdient – eine Chance, die sich nur im Kampf bot.
    Aber Pears war sein Schiff wichtiger als alle Hoffnungen oder Träume. Der Gedanke, daß Sparke dann als Erster Offizier nachrücken würde, schien ihm wie eine Drohung. Sparke war ein tüchtiger Offizier und widmete sich ganz seinen Geschützen und sonstigen Aufgaben, aber er war phantasielos. Pears dachte an Probyn und verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Dann war da noch Bolitho, der Vierte Offizier, seinem Vater sehr ähnlich, obwohl er bisweilen seine Pflichten ein wenig zu leicht nahm. Aber seine Leute schienen ihn zu mögen, und das bedeutete in diesen harten Zeiten eine ganze Menge.
    Pears seufzte. Bolitho fehlten immer noch ein paar Monate am einundzwanzigsten Lebensjahr. Man brauchte erfahrene Offiziere, um ein Linienschiff wie dieses zu handhaben. Er rieb sich das Kinn und verbarg dadurch seinen Gesichtsausdruck. Vielleicht war es bei Bolithos Jugend nur sein eigenes, fortgeschrittenes Alter, das ihm diese Bedenken eingab.
    Er fragte abrupt: »Sind wir in jeder Beziehung seeklar?«
    Cairns nickte. »Aye, aye, Sir. Ich könnte wohl noch ein weiteres Dutzend Leute gebrauchen, wegen der Krankheitsausfälle und Verletzungen, aber das ist heutzutage ja eine geringe Differenz.«
    »Das ist es in der Tat. Ich habe erlebt, daß Erste Offiziere graue Haare bekamen, weil sie einfach nicht genügend Leute anwerben, pressen oder kaufen konnten, um überhaupt die Anker zu lichten.«
    Zur festgesetzten Zeit wurden die Türen geöffnet, und die Offiziere der Trojan – mit Ausnahme der Kadetten und der jüngeren Deckoffiziere – traten nacheinander ein.
    Es war kein alltägliches Ereignis, daher dauerte es einige Zeit, bis alle einen Sitzplatz auf den Stühlen gefunden hatten, die Foley und Hogg, des Kommandanten Bootssteurer, eifrig herbeischafften.
    Diese Verzögerung gab Pears Gelegenheit, die Offiziere und ihre verschiedenen Reaktionen zu beobachten.
    Probyn, durch einen Steuermannsmaat abgelöst, hatte ein gerötetes Gesicht und auffällig glänzende Augen. Sein Auftreten wirkte zu betont sicher, um echt zu sein.
    Sparke, etwas gedrechselt und steif in seiner strengen Korrektheit, und der junge Dalyell saßen neben dem sechsten und jüngsten Leutnant, Quinn, der vor fünf Monaten noch Fähnrich gewesen war.
    Dann kam Erasmus Bunce, der Navigationsoffizier, Sailingmaster oder auch kurz »Master«, eine beeindruckende Erscheinung.
    Hinter seinem Rücken nannte man ihn »den Weisen«. Über ein Meter achtzig groß, breitschultrig, mit widerspenstigem, grauem Haar, hatte er tiefliegende, klare Augen, die so schwarz waren wie seine
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