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Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall

Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall

Titel: Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
Autoren: Bernd Franzinger
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    Schlaftrunken wankte Tannenberg ins Wohnzimmer, nahm gähnend den Telefonhörer aus der lärmenden Basisstation und ließ sich kraftlos in seinen bordeauxroten Ohrensessel niedersinken. »Mensch, Geiger, was’n los, hat man noch nicht mal am Sonntagmorgen seine Ruhe vor dir?«
    »Tut mir echt leid, Chef; ich weiß ja, dass Sie keine Bereitschaft haben. Aber der Oberstaatsanwalt legt nun mal gesteigerten Wert darauf, dass Sie sich höchstpersönlich um die Sache kümmern.«
    »Um welche Sache? – Langsam! Jetzt sagst du mir erst mal, wie spät es ist, und dann ganz ruhig, was überhaupt passiert ist.«
    »Also, es ist kurz nach sieben. Etwa vor einer halben Stunde hat uns ein Mann von seinem Handy aus angerufen und mitgeteilt, dass er gerade eine Tote im Wald entdeckt hat. Wir sind gleich hingefahren. Sie müssen schnell kommen. So was haben Sie noch nie gesehen! – Wahnsinn!«
    »Was macht denn der Idiot sonntags um diese Uhrzeit im Wald?«
    »Weiß ich auch nicht, Chef, kommen Sie schnell, ich warte am Bremerhof auf Sie.«
    »Mach doch nicht so’n Stress, Geiger, die Tote kann uns schließlich nicht mehr weglaufen«, bemerkte der Leiter der Kaiserslauterer Mordkommission noch trocken, bevor er das Mobilteil wieder in die Ladestation steckte. Dann schlurfte er müde zurück ins Schlafzimmer, streifte die gestern Abend neben seinem Bett abgelegten Kleidungsstücke über den ungewaschenen Körper und begab sich in die Garage. Widerwillig startete er seinen alten BMW und fuhr durch die menschenleere Beethovenstraße in Richtung Waldschlösschen.
    Eigentlich sollte man öfter mal Sonntag morgens in dieser Herrgottsfrühe durch die Stadt fahren – kein Stau, keine rote Ampel, keine anarchistischen Radfahrer, nichts als freie Fahrt, dachte Tannenberg, als er kurz nach der Abzweigung zum Bremerhof zu einer reflexartigen Vollbremsung genötigt wurde.
    »Blödes Viehzeug!«, schimpfte er laut in die frühmorgendliche Stille. Doch bereits wenige Augenblicke später freute er sich darüber, dass er gerade einer jungen Eichhörnchenfamilie das Leben gerettet hatte.
    Nachdem er die letzte Kurve vor dem Bremerhof passiert hatte, sah er bereits von weitem Kriminalhauptmeister Geiger, der mit beiden Armen wild umherfuchtelnd seinen Chef auf sich aufmerksam zu machen versuchte.
    »Was soll denn dieser Wirbel? Ich bin doch nicht blind! Außerdem finde ich den Bremerhof sogar noch ohne deine Hilfe. Du hast ja hoffentlich die Spurensicherung schon verständigt, oder?«, fragte Tannenberg durch das offene Seitenfenster.
    »Aber klar doch, Chef, die stecken schon mitten in ihrer Arbeit«, antwortete der übergewichtige Kriminalbeamte, dem bereits zu dieser frühen Morgenstunde eine Vielzahl kleiner Schweißperlen die hohe Stirn verzierte und dessen Hemd unter den Achseln von großen ovalen Transpirationsflächen gezeichnet war.
    Tannenberg quälte sich mühsam aus dem ungepflegten BMW-Cabrio, dehnte behutsam den verkrampften Körper und ließ seinen müden Blick über die von Tau benetzten, dampfenden Wiesen schweben. Die große, direkt an das alte Sandsteingebäude angrenzende Pferdekoppel lag immer noch so merkwürdig schräg abgeschnitten am Hang. Es war das gleiche Bild, das er schon einmal vor einigen Jahren hier gesehen hatte. Damals, als er das letzte Mal hier gewesen war. So, als ob sich in der Zwischenzeit nichts verändert hätte.
    Es waren keine schönen Erinnerungsfetzen, die sich gerade Stück für Stück in Tannenbergs Bewusstsein schoben, schließlich handelte es sich um einen der letzten Tage, die er damals gemeinsam mit seiner todkranken Frau verbrachte.
    Obwohl schon schwer krank, hatte Lea sich diesen Ausflug so sehr gewünscht, dass Tannenberg ihr dieses Vorhaben einfach nicht abschlagen konnte. Die Ärzte hatten zwar eindringlich vor den damit verbundenen Risiken gewarnt, aber sie war nicht davon abzubringen gewesen. Sie wollte noch ein letztes Mal einen sonnendurchfluteten Herbsttag in der von ihr über alles geliebten Natur verbringen, die bunten Blätter herumwirbeln sehen, das melodische Rauschen in den hohen Buchenkronen hören, die würzige Waldluft atmen …
    »Chef, ich schlage vor, wir fahren mit dem Förster, der hat ein geländegängiges Auto«, polterte Geiger rücksichtslos in Tannenbergs schmerzlichen Erinnerungsschub.
    Immer noch in seinen andächtigen Gedanken schwelgend, ergriff Tannenberg unwillig die ihm von Revierförster Kreilinger entgegengestreckte Hand.
    »Ach Gott, was für ein
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