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Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen
Autoren: Katrin Koppold
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jemanden wie mich gar nicht so leicht. Aber letztendlich habe ich es doch hinbekommen, nicht wahr? Ich bin nämlich nicht so ein gefühlskalter Klotz, wie viele denken. Mir fällt es nur ziemlich schwer, mich zu verlieben.“ Ich schluckte den Kloß hinunter, der sich in meiner Kehle gebildet hatte.
    „Aber in dich habe ich mich verliebt. Es hat nur ein bisschen gedauert, bis ich es gemerkt habe, wie viel du mir bedeutest. Genau wie bei deinem Papa.
    Weißt du, ich habe ihn für selbstverständlich gehalten. Weil er immer da war. Weil wir uns schon so lange kennen. Aber jetzt weiß ich, dass es alles andere als selbstverständlich ist, unter all den Menschen dort draußen genau denjenigen zu finden, den du nicht nur liebst, sondern der auch dein bester Freund ist.“
    Paul warf sich unruhig hin und her und brabbelte etwas. Die Decke verrutschte und sein Fuß schaute hervor. Ich nahm ihn in die Hand, um ihn wieder zuzudecken. Fast war ich Paul dankbar, dass er meinen Monolog unterbrach. Sonst hätte ich bestimmt wieder angefangen zu heulen. Und darauf hatte ich wirklich keine Lust mehr. Dieses Irland weichte mich nicht nur äußerlich auf, sondern auch innerlich. Ich strich Paul über den Fuß. Seltsam! Ich hatte noch nie darauf geachtet, dass sein zweiter Zeh ein Stück länger war als sein großer. Ich betrachtete den Fuß genauer. Er hatte immer noch eine dicke Baby-Speckschicht, sodass sich in der Haut zwischen Unterschenkel und Rist eine Falte bildete. Und sein kleiner Zeh sah genau wie der von Sam fast ein bisschen verkrüppelt aus. Ich fuhr mit dem Zeigefinger darüber. Der Nagel krümmte sich und wuchs bis in die Zehenkuppe hinein. Der arme Kerl! Ein solcher Zeh war nicht schön.
    Da wurde mir bewusst, was ich gerade gedacht hatte. Genau wie der von Sam! Paul hatte den gleichen Zeh wie Sam. Mit genau dem gleichen Zehennagel. Ich sah ihn noch einmal an. Tatsächlich! Ich presste meine Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien und zwang mich, ruhig zu bleiben und nicht aufzustehen, um wild herumzutanzen. Ich ließ den Kopf auf die Bettdecke sinken und versuchte, tief ein- und auszuatmen.
    „Hat dich etwas gestochen?“
    Ich fuhr herum. Sam stand in einer Ecke des Aufwachraumes. Erschrocken starrte ich ihn an. Zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden befürchtete ich, Gespenster zu sehen.
    „Wie kommst du hierher?“
    „Mit dem Auto.“
    „Aber woher wusstest du …“
    „Deine Mutter hat mich angerufen.“ Er ging auf Paul zu und streichelte ihm über die Wange. Dann setzte er sich neben mich. „Hoffentlich haben die Iren kein besonders strenges Überwachungssystem. Ich habe nämlich auf dem Weg zum Krankenhaus so ziemlich jede Verkehrsregel missachtet, die es gibt. Sogar eine rote Ampel habe ich übersehen.“
    „Du scheinst es eilig gehabt zu haben.“ Ich lächelte gezwungen.
    Sam zuckte mit den Schultern. „Im Warteraum hat mir Milla erzählt, dass Pauls Operation gut verlaufen ist. Der langhaarige Typ ist mir ebenfalls begegnet.“
    „David?“ Ich blickte ihn an.
    „Ja. Und er hat mir wortreich erklärt, dass ich die Situation zwischen euch vollkommen missverstanden habe.“
    „Es tut mir so leid. Ich habe alles falsch gemacht.“ Meine Unterlippe fing an zu zittern und ich presste meinen Mund zusammen.
    „Wir haben uns in den letzten Monaten beide nicht gerade mit Ruhm bekleckert.“
    „Aber ich …“
    Sam schüttelte den Kopf. „Lass uns ein anderes Mal darüber reden. Nicht hier. Es ist nicht wichtig im Moment.“
    „Dann bist du mir nicht mehr böse?“
    „Ich bin vor allem erleichtert.“
    Ich bildete mir ein, einen feuchten Schimmer in seinen Augen zu bemerken. Doch dann zuckten seine Mundwinkel auf einmal. „Außerdem habe ich deine rührenden Worte vorhin gehört. Wie könnte ich dir danach noch ernsthaft böse sein? Ich hätte fast geweint.“
    „Ich war überzeugend?“, fragte ich verlegen.
    „Ziemlich.“
    Unsere Blicke trafen sich und für einen Augenblick glaubte ich, in Sams Augen zu versinken. Ich legte die Arme um seinen Hals und vergrub mein Gesicht in der Beuge seiner Schulter.
    „Ich hatte solche Angst, dass du zum Flughafen fährst“, flüsterte ich.
    „Du dachtest, dass ich zum Flughafen fahre?“, wiederholte Sam. „Aber warum?“
    „Wo wolltest du denn sonst hin?“
    „Darüber habe ich überhaupt nicht nachgedacht. Aber ich wäre doch nie ohne euch nach Hause geflogen.“
    „Wirklich nicht?“, fragte ich und hob den Kopf.
    „Ganz sicher nicht.“
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