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Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen
Autoren: Katrin Koppold
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spürte das gleichförmige Pochen seines Herzens unter meiner Hand. Am nächsten Abend wollten wir nach Deutschland fliegen. „Ich kann mich nicht ewig krankmelden“, hatte Sam gemeint. Und obwohl ich mich auf meine Familie freute, stand ich unserer Abreise nach wie vor zwiespältig gegenüber. Ich hatte Angst, Pauls erstes Wort zu verpassen, Angst, dass Sam und ich erneut an Bügelwäsche und herumliegenden Socken scheiterten und auch Angst vor meiner Arbeit. Nicht nur, dass ich dort auf Monika treffen würde, sondern auch davor, der Nachricht, dass eine bekannte Schauspielerin eine neue hippe Tasche hatte, die gleiche Bedeutung einzuräumen wie einem Friedensabkommen im Nahen Osten. Auch auf die Oscarverleihung im Februar hatte ich keine Lust mehr. Mit dem Erfolg war es wie mit einem neuen Paar Schuhe. Das wusste ich nun. Zunächst musste man sie unbedingt haben, doch kurz nachdem man sie gekauft hatte, wurden sie selbstverständlich und man begann, nach dem nächsten Paar Ausschau zu halten. Obwohl! Mit dem Erfolg war es schlimmer als mit Schuhen. Denn die könnten einem zumindest theoretisch für immer erhalten bleiben, während man bei dem Erfolg ständig befürchten musste, dass er innerhalb kürzester Zeit wie eine Seifenblase zerplatzte. Und irgendwie gab es immer jemanden, der noch mehr davon hatte als man selbst.
    „Über was denkst du nach?“, fragte Sam und küsste mich aufs Haar.
    „Über nichts Bestimmtes“, murmelte ich schläfrig und kuschelte mich noch ein wenig enger an ihn.
    „Sag es ihm!“, forderte das kleine Männchen in meinem Kopf energisch.
    „Morgen ist auch noch ein Tag“, sagte ich.
    Im nächsten Moment war ich eingeschlafen.

    Als ich aufwachte, lag ich allein im Bett. Erschrocken fuhr ich nach oben und fragte mich, ob ich den gestrigen Tag nur geträumt hatte. Doch die zerwühlte Bettseite neben mir und das Kopfkissen, das noch schwach nach Sam roch, sagten mir, dass er hier war. In Irland. Dass wir beide noch eine Chance hatten. Erleichtert ließ ich mich zurücksinken. Genoss für ein paar Augenblicke das wohlige Nichtstun. Dann stand ich auf und ging zu Milla hinüber. Sie saß auf ihrem Bett. Paul rollte, nur mit einer Windel bekleidet, fröhlich neben ihr hin und her.
    „Mamam!“, rief er erfreut. Das tat er in letzter Zeit häufiger.
    „Hast du Sam gesehen?“, fragte ich Milla.
    „Er ist unten. Vielleicht möchte er endlich das Auto ausladen.“
    „Das braucht er nicht. Du weißt doch, dass wir heute Abend nach Hause fliegen.“
    Ich küsste Paul auf seinen Bauchnabel und er quiekte entzückt auf. Dieses satte Babylachen war so süß. Ich musste mich zusammenreißen, um ihn nicht ständig zu kitzeln. Pauls gute Laune verließ ihn jedoch schlagartig, als er seinen Body sah, und er versuchte, davonzukrabbeln. Das Anziehen war ihm verhasst. Doch ich hielt ihn fest.
    „Ab, ab!“, zeterte er und wollte mich daran hindern, ihm das Kleidungsstück über den Kopf zu ziehen. Ich musste lachen. Die Willensstärke hatte er auf jeden Fall von mir.
    Nachdem ich ihn endlich angezogen hatte, gingen wir gemeinsam nach unten. Vor der Tür zum Gastraum blieb ich stehen. Gitarrenklänge drangen heraus. „Here without you“ von 3 Doors Down. Mein Lieblingslied.
    Neugierig trat ich ein. Sam saß auf Ians Bühne, eine Gitarre auf den Knien und ließ seine Finger über die Seiten gleiten. Doch nach den ersten Takten des Liedes brach er stets ab und begann von neuem. Dabei zog er ärgerlich die Augenbrauen zusammen. Verblüfft blieb ich stehen. Ich wusste nicht, dass Sam Gitarre spielen konnte. Endlich schien er die richtigen Saiten angeschlagen zu haben, denn über sein Gesicht huschte ein zufriedenes Lächeln. Er begann zu singen.
    Davon, wie sehr er mich vermisst hatte. Wie einsam er ohne mich gewesen war. Und dass er die ganze Zeit von mir geträumt hatte. Auch wenn er die Worte eines anderen dafür benutzte. Ich wusste, was er mir mit diesem Lied sagen wollte.
    Paul fing an, sich in meinem Arm unruhig zu winden.
    „Pst, du musst ruhig sein. Dein Papa singt für uns“, flüsterte ich.
    Aber Sam hatte uns bemerkt. Verlegen begegnete er meinem Blick, doch als ich nickte, fuhr er fort.
    Ich lehnte den Kopf an den Türrahmen, schloss die Augen und blendete für einen Moment alles aus. Hörte nur Sams Stimme zu. Seiner dunklen, rauen Stimme – eine Stimme, die man ihm nicht zutrauen würde, wenn man ihn sah. Erst als der letzte Gitarrenakkord verklang, öffnete ich sie wieder. Sam
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