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Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen
Autoren: Katrin Koppold
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seltsam. So, als ob mein Kopf unter einer Dunstglocke gefangen wäre, die alle Geräusche, Gerüche und Empfindungen nur durch einen Schalldämpfer zu mir dringen ließ. Und weder Kreislauftropfen noch ein Glas Sekt hatten an diesem überirdischen Zustand bisher etwas ändern können.
    „Ich muss als Mutter alles richtig gemacht haben.“ Milla drehte sich zu mir um. Seit einigen Jahren bestand sie darauf, dass wir sie beim Vornamen anredeten. Schließlich wollte sie nicht doppelt so alt wirken, wie sie aussah.
    „Was meinst du damit?“, fragte ich sie.
    „Fast alle meine Töchter sind unter der Haube.“ Sie zog Paul, der sie entzückt anlächelte, auf ihren Schoß. „Du hast mir einen wunderschönen Enkel geschenkt, Lillys Nachwuchs lässt bestimmt auch nicht mehr lange auf sich warten und ich habe drei gut aussehende und beruflich erfolgreiche Schwiegersöhne. Nun müssen wir nur noch einen Mann für Mia finden.“
    Ich verzog das Gesicht. „Schön, dass du zufrieden bist.“
    „Ja, das bin ich. Was könnte ich mir jetzt noch wünschen?“
    „Einen Ehemann, der sich lieber mit dir als mit seinem Handy beschäftigt.“
    Milla sah mich mit einem schwer deutbaren Blick an, kommentierte den Satz aber nicht.
    Ich seufzte. Warum hatte ich das gesagt? Sie hatte sich nur mit mir unterhalten wollen. Aber wie so oft provozierte sie mich allein durch ihre Anwesenheit zu unbedachten und leider auch häufig verletzenden Äußerungen. Ich überlegte, was ich tun konnte, um meine Gemeinheit auszubügeln, doch Milla hatte sich bereits Helga zugewandt und tätschelte auf deren Bauch herum. Schnell stand ich auf und gesellte mich zu Sam und Nils an die Bar.
    Nach wie vor konnte ich es nicht fassen, dass sich meine spießige Schwester Helga einen solchen Hottie wie Nils an Land gezogen hatte. Grüne Augen, dunkle Haare, ein durchtrainierter Körper, Schauspieler. Und abgesehen davon auch noch ein wirklich lieber Kerl. Der einzige Minuspunkt war seine Größe von nur knapp über 1,80. Ich bevorzugte Männer, bei denen ich problemlos schwindelerregende High Heels tragen konnte, ohne neben den Kerlen wie der Glöckner von Notre Dame auszusehen, wenn ich ihnen nicht auf den Kopf spucken wollte.
    Mit Sam befand ich mich selbst in meinen höchsten Jimmy Choos auf Augenhöhe. Er sah ebenfalls gut aus, aber nicht auf eine gefährliche, animalische Art wie Nils. Sam war eher der Typ „netter Junge von nebenan“, bei dem man tagein, tagaus auch im Morgenmantel und mit Handtuchturban auf dem Kopf keine Hemmungen hat, zu klingeln, um sich Milch oder Eier auszuleihen, bevor man eines Tages vor ihm steht und überrascht feststellt: „Gar nicht mal schlecht!“
    „Darf ich den beiden attraktivsten Männern hier im Saal Gesellschaft leisten?“ Ich versuchte, mein charmantestes Lächeln aufzusetzen.
    Sam sah mich fragend an. Er schien zu bemerken, dass sich meine Augen nicht in gleichem Maße wie meine Mundwinkel an dieser Aktion beteiligten. Doch Nils strahlte und legte den Arm um mich. „Meine Lieblingsredakteurin! Kommst du privat oder beruflich?“
    „Natürlich rein privat. Was glaubst du? Dass ich selbst auf der Hochzeit meiner Schwester ein Mikrofon im Ausschnitt versteckt habe, um dir ein paar O-Töne zu entlocken?“
    „Zutrauen würde ich es dir.“ Er setzte ein süffisantes Grinsen auf.
    Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. „Für unser Magazin bist du nicht mehr interessant. Du wirst langsam zu alt, um vierzehnjährige Teenies vom Hocker zu reißen.“
    „Schade. Ich hatte gehofft, dir wie damals bei unserer ersten Begegnung detailliert Auskunft über Form und Farbe meiner Unterwäsche geben zu können.“
    Ich zog eine Schnute. „Wie oft soll ich dir das noch sagen: Diese Frage wurde mir vorgegeben. Und bitte, Themawechsel! Ich habe Wochen …“
    In diesem Moment ließ mich ein lautes Klirren zusammenzucken. Meine kleine Schwester Lilly stand auf der Bühne. In der rechten Hand hielt sie einen silbernen Löffel, in der linken den Stiel eines abgebrochenen Sektglases. Sein Inhalt hatte sich über den Saum ihres Rocks ergossen, der Rest des Glases verteilte sich in mehrere Splitter zerschellt auf dem Boden. Ich schloss die Augen. Wie zum Teufel war es ihr gelungen, mit einem kleinen, harmlosen Dessertlöffel ein Sektglas zum Bersten zu bringen? Doch da Lilly auch die einzige Person aus meinem Bekanntenkreis war, die es geschafft hatte, sich eine Verbrennung am großen Zeh zuzuziehen, weil sie über ihr
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