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Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen
Autoren: Katrin Koppold
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wir müssen eine CT machen, um auszuschließen, dass er keine inneren Verletzungen hat. Es wäre besser, wenn Sie warten. Ich komme zu Ihnen, wenn ich einen Befund habe. Und Sie müssten in der Zwischenzeit noch einige Papiere ausfüllen.“
    Seltsamerweise beruhigten mich sein emotionsloses Gerede und sein nüchterner Gesichtsausdruck. Mit Ian lief ich zur Krankenhauspforte, wo eine dünne Frau mit Nickelbrille mir einen Stoß Papiere und einen Kugelschreiber übergab. Dann gingen wir zu Milla und David zurück in den Warteraum. Keiner von uns sprach ein Wort. Erst als sich nach einer halben Stunde immer noch kein Chirurg bei uns hatte blicken lassen, tigerte ich unruhig umher.
    „Wo bleibt der denn nur? Es kann doch unmöglich so lange dauern, Paul zu untersuchen und zu röntgen.“
    „Aber sie wollen doch auch noch eine CT machen. Vielleicht ist die Röhre oder der Röntgenraum gerade besetzt“, antwortete Milla. Ihre Augen waren vom Weinen geschwollen.
    „Paul ist doch noch so klein. Sie werden ihn doch wohl vorrangig behandeln“, warf ich verzweifelt ein.
    Erst nach weiteren zehn Minuten erschien der Arzt.
    „Was ist mit ihm?“ Ich stand so heftig vom Stuhl auf, dass er wackelte.
    „Außer dem offenen Bruch am Oberschenkel konnten wir nichts feststellen. Und er hat eine leichte Gehirnerschütterung. Aber wir müssen Ihren Sohn operieren, um den Knochen in die korrekte Stellung zu bringen. Hier ist der Aufklärungsbogen.“
    „Welcher Aufklärungsbogen?“
    „Der Eingriff muss in Vollnarkose erfolgen. Hier werden Sie über mögliche Risiken aufgeklärt. Aber Komplikationen treten nur in den allerseltensten Fällen auf.“ Er drückte mir einen Bogen in die Hand. „Ich komme in fünf Minuten zurück. Falls Sie Fragen haben, werde ich Sie Ihnen beantworten.“
    „Wie lange dauert die Operation?“
    „Insgesamt etwa anderthalb Stunden, denke ich. Genaueres kann ich Ihnen derzeit noch nicht sagen.“
    „So lange?“ Verzweifelt schaute ich ihn an. „Kann ich Paul vorher noch einmal sehen?“
    „Natürlich. Lesen Sie sich in Ruhe den Aufklärungsbogen durch und unterschreiben Sie, anschließend bringe ich Sie zu Ihrem Sohn.“

    Klein und mit mattem Gesicht lag Paul in einem viel zu großen Krankenhausbett. Er trug einen hellen Kittel, in seinem Handgelenk steckte eine Kanüle.
    „Wir haben ihm ein Schmerzmittel injiziert“, erklärte mir eine Krankenschwester.
    Als er mich sah, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Mamam!“ Er streckte die Arme nach mir aus.
    „Es wird alles wieder gut. Das verspreche ich dir“, flüsterte ich und drückte ihn vorsichtig an mich, bevor ich nach draußen eilte. Ich wollte nicht sehen, wie er in den OP gefahren wurde.
    Im Warteraum brach ich zusammen.
    „Er hat seine Stoffkuh nicht dabei“, schluchzte ich. „Was ist, wenn er aufwacht und Hugo nicht da ist? Und er hat heute Morgen etwas gegessen und getrunken. Aber im Aufklärungsbogen stand, dass man vor der Narkose nüchtern bleiben soll.“
    „Ich vermute, dass nur die wenigsten Unfallopfer vor ihrem Unfall gar nichts gegessen und getrunken haben“, entgegnete Ian. „Und seinen Hugo, den fahre ich dir jetzt holen.“
    Dankbar sah ich ihn an. Was hätte ich die letzten Stunden nur ohne ihn gemacht?
    „Bleib du bei ihr!“, wies er David an. „Dich nehme ich mit“, wandte er sich an Milla, die immer noch völlig apathisch auf ihrem Stuhl saß. „Du machst deine Tochter mit deiner ständigen Heulerei nur verrückt.“
    Die beiden verschwanden.
    David und ich saßen nebeneinander. Über einem Regal mit Kinderspielsachen hing eine Uhr. Ich lauschte ihrem monotonen Ticken, sah zu, wie ihr großer Zeiger, langsam, Schritt für Schritt seine Runden drehte. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte sie von der Wand gerissen. Hätte ihn nach vorne gedreht. Einmal, zweimal. Bis der Arzt zurückkehrte und mir sagte, dass es meinem Sohn gut ginge.
    „Warum hast du Paul nicht festgehalten?“, fragte ich tonlos. „Du musst doch gesehen haben, dass er mir nachgelaufen ist.“
    David zuckte zusammen. „Nein, habe ich nicht. Ich wusste ja gar nicht, was los ist. Ich habe nicht bemerkt, dass er mir gefolgt ist. Sonst hätte ich ihn doch festgehalten. Aber es ging alles so schnell und ich habe ihn erst gesehen, als es zu spät war.“
    „Schon gut. Natürlich kannst du nichts dafür. Ich hätte Paul nicht aus den Augen lassen dürfen.“ Müde massierte ich meine Schläfen.
    „War das dein Freund?“
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