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Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen
Autoren: Katrin Koppold
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war aufgestanden.
    „Seit wann kannst du Gitarre spielen?“, fragte ich.
    Ich setze Paul auf den Boden und er tapste zu dem Instrument.
    „Suri hat es mir beigebracht.“
    „Aber wann? Du hast mir nichts davon erzählt.“
    „Ich bin nicht immer zum Volleyballtraining oder zum Pokern gegangen. Ich wollte dich an Weihnachten damit überraschen.“
    „Ein Weihnachtsgeschenk“, wiederholte ich entzückt.
    „Seit Pauls Geburt warst du so unglücklich. Ich wusste, dass du dich darüber freuen würdest, wenn ich für dich singe. Jetzt ist es gar keine Überraschung mehr.“
    „Das macht nichts.“ Ich drückte ihm einen Kuss auf die Lippen.
    Ein lautes Scheppern ertönte. Paul war auf die Bühne geklettert und hatte die Gitarre umgeworfen. Begeistert zog er mit seinen kleinen Fingern an den Saiten, freute sich über die seltsamen Töne, die das hervorbrachte.
    „Er versucht, in deine Fußstapfen zu treten“, sagte ich lachend.
    „Ich hol’ ihn besser herunter.“ Sam nahm Paul auf den Arm, der sofort wütend protestierte. Doch sein Gezeter verstummte direkt, denn die Tür zum Pub wurde so heftig aufgerissen, dass sie gegen die Wand krachte. Auch Sam und ich fuhren erschrocken herum.
    David stand im Türrahmen.
    „Fee“, sagte er ein wenig außer Atem. „Meine Mutter hat mir gesagt, dass du heute abreisen willst. Ich wollte noch einmal mit dir reden. Es tut mir leid, dass ich am Sonntag einfach weggefahren bin. Aber du hast mich komplett überfallen.“ Er kam auf mich zu und drückte mich fest an sich.
    „Ist er das?“ Sein Blick fiel auf Paul und wechselte dann irritiert zwischen ihm und Sam hin und her.
    „Ja, das ist er. Und unser Flugzeug geht erst heute Abend.“ Ich löste mich aus seiner Umarmung und überlegte verzweifelt, wie gut Sams Englisch war. „Können wir nachher reden? Jetzt ist es ungünstig.“
    Doch es war zu spät.
    Sam kam auf uns zu und einen Moment lang befürchtete ich, dass er sich mit David prügeln wollte. Doch er streckte nur seine Hand aus und hielt sie ihm entgegen.
    „Hallo. Ich bin Sam.“
    „David.“ David drückte sie unbeholfen und wich Sams Blick aus.
    Es ist nicht so, wie es aussieht, hätte ich am liebsten gesagt. Aber selbst in diesem Moment, in dem alles, was wir in den letzten zehn Stunden aufgebaut hatten, wie ein Kartenhaus zusammenzufallen drohte, war ich mir der Klischeehaftigkeit dieses Satzes bewusst.
    Sam nahm seine Jacke, die vom Vortag immer noch über dem Stuhl hing.
    „Ich bin eigentlich nur kurz vorbeigekommen, um zu sehen, wie es Fee geht“, meinte er lässig. „Aber wie ich sehe, kommt sie ganz wunderbar ohne mich klar. Also, macht’s gut.“ Er hob die Hand zum Abschiedgruß und ging eilig nach draußen.
    Ich ließ den verdutzten David stehen und raste Sam hinterher. Kurz vor seinem Auto holte ich ihn ein.
    „Sam, warte! Was soll denn das? Du kannst doch nicht einfach wegfahren. Wo willst du denn hin?“ Ich hielt ihn am Ärmel seines Pullovers fest.
    „Lass mich in Ruhe!“, fuhr er mich an.
    „Aber ich habe dir doch von David erzählt. Und von Harry. Wir sind nur zusammen ausgeritten.“
    „Natürlich. Ihr seid nur gute Freunde.“ Sam riss sich los. Er stieg ins Auto, knallte die Tür hinter sich zu und startete den Motor. Der Wagen schoss davon.
    Nein, ich würde ihn nicht fahren lassen! Wenn er jetzt fuhr, war alles aus. Ich sprintete dem Clio nach. Meine Lungen brannten, meine Herzschläge verschmolzen zu einem einzigen hämmernden Ton, doch ich lief und lief. Bis das Auto um eine Kurve fuhr und aus meinem Blickfeld verschwand. Erst dann blieb ich stehen. Schwer atmend. Tränen rannen über meine Wangen.
    Es war vorbei.
    Langsam humpelte ich auf meinen hohen Absätzen die Straße zurück. David stand auf dem Parkplatz und beobachtete mich verwirrt. Warum war er gerade jetzt aufgetaucht? Und warum hatte Sam nur so heftig reagiert? Ich hätte ihm alles erklären können. Obwohl, was denn? Dass David und ich in Irland nicht miteinander geschlafen hatten, sondern anderthalb Jahre zuvor? Ich lachte humorlos.
    Auf einmal nahm ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Zwischen zwei Autos, die am Straßenrand parkten, wankte eine kleine Gestalt unsicher auf mich zu. Die Arme weit nach vorne gestreckt. Ich registrierte sie im gleichen Moment, in dem ich den heranrasenden Wagen bemerkte.
    „Die Autos fahren auf dieser Straße immer viel zu schnell“, dachte ich.
    Bremsen quietschten. Der kleine Mensch wurde zur Seite geschleudert und
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