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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit
Autoren: Rose Tremain
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Zimmer an. Ich war, wie es mir für den Dienstag zur Gewohnheit geworden war, mit dem Akt des Vergessens mit Rosie Pierpoint, der Frau eines Fährmanns, beschäftigt. Ihr Lachen war so voll und saftig wie der Teil ihres Körpers, den sie kokett »ihr Ding« nannte. Umfangen von ihrem Ding und ihrem Lachen, kicherte ich ekstatisch und bumste so heftig meinem kleinen Paradies entgegen, daß ich weder sah noch hörte, wie mein Vater ins Zimmer kam. Ich muß ein lächerlicher Anblick gewesen sein. Meine Kniehose und
Strümpfe noch um meine Knöchel verheddert, die sandfarbenen Schweineborsten, die in der Falte meines Hinterns sprießen, unvorteilhaft sichtbar, Mrs. Pierpoints Beine auf beiden Seite meines Rückens herumfuchtelnd wie die eines Akrobaten im Zirkus. Ich erröte noch immer, wenn ich daran denke, daß mein eigener Vater mich so gesehen hat. Und als er ein Jahr später in dem Feuer umkam, hatte ich inmitten der großen Trauer den tröstlichen Gedanken, daß wenigstens auch diese Erinnerung mit seinem armen Gehirn in Staub und Asche zerfiel.
    Eine Stunde später waren mein Vater und ich in Whitehall. Ich trug den saubersten Rock, den ich hatte finden können, und hatte mein Gesicht von allen Spuren von Rosie Pierpoints Rouge gereinigt. Meine Haare lagen verborgen und gezähmt unter meiner Perücke. Meine Schuhe hatte ich mit ein wenig Möbelöl blank gerieben. Ich war aufgeregt, eifrig und voller Bewunderung für die Aufmerksamkeit, die meinem Vater offensichtlich vom König zuteil wurde. Doch dann, als wir die Steingalerie entlanggingen und uns den königlichen Gemächern näherten, fühlte ich plötzlich ein Zaudern und rang nach Luft. Alle Welt, die hier herumlief, schien sich frei und unbefangen zu fühlen. Doch ich hatte den Eindruck, daß sich die Luft durch die Anwesenheit des Königs verändert hatte.
    »Beeil dich«, sagte mein Vater. »Wegen deiner akrobatischen Übungen sind wir schon spät dran.«
    An den Türen zu den königlichen Gemächern standen Wachen, doch auf ein Nicken meines Vaters hin wurden sie geöffnet. Über seinem Arm trug er einen seidenen Beutel mit zwei Paar Satinhandschuhen. Wir betraten einen Salon. Unter einem großen marmornen Kaminsims prasselte ein Feuer. Nach der Kühle der Galerie hätte ich mich gern dorthin bege
ben, wenn ich mich inzwischen nicht schon fast zu schwach gefühlt hätte, um mich überhaupt noch zu bewegen, so daß ich mich fragte, ob ich meinem Vater (der an diesem Tag schon genug Peinlichkeiten erlebt hatte) auch noch die Unannehmlichkeit bereiten würde, daß ich in Ohnmacht fiel.
    Die nun folgenden Augenblicke erschienen mir verzerrt und unwirklich wie im Traum. Ein Diener kam aus dem Schlafgemach des Königs und bat uns einzutreten. Ich hatte das Gefühl, daß wir wie Schlittschuhläufer über dreißig Fuß Perserteppich glitten, durch die großen vergoldeten Türen stolperten und vor den beiden längsten und elegantesten Beinen, die ich je gesehen hatte, flach auf die Nase fielen.
    Nach einer Weile merkte ich, daß wir nicht ausgestreckt am Boden lagen, sondern nur knieten. Irgendwie waren wir Schlittschuhläufer doch nicht zu Fall gekommen. Das an sich kam mir schon wie ein Wunder vor, da alles um mich herum – das Bett mit dem Baldachin, die Wandleuchter mit den Kerzen, ja sogar die mit Brokat bespannten Wände – sich zu bewegen schien, ins Blickfeld kam, um wieder daraus zu verschwinden, deutlich wurde, dann wieder unscharf.
    Dann hörte ich eine Stimme: »Merivel. Und wer ist das?«
    Jetzt, da ich so in dem Gespinst der Geschichte verstrickt bin, höre ich oft diese Stimme. Merivel. Und wer ist das? Zuerst mein Name. Dann das Ableugnen, mich überhaupt zu kennen. Merivel. Und wer ist das? Diese Erinnerung paßt so gut. Ich bin jetzt nicht mehr der Merivel, der ich an jenem Tage war. An jenem Novembernachmittag wurde mir ein Raum voller Uhren gezeigt, die disharmonisch schlugen und tickten. Mir wurde eine kleine Leckerei angeboten, doch ich konnte sie nicht hinunterschlucken. Mir wurden Fragen gestellt, doch ich konnte sie nicht beantworten. Ein Hund
schnüffelte an meinem Fuß, doch ich fand die Berührung seiner Nase so widerlich, als wäre er ein Reptil.
    Nach einer endlos langen Zeit (ich weiß bis heute nicht, wie diese Zeit ausgefüllt wurde) waren wir wieder draußen in der Galerie, und mein Vater schrie mich an, ich sei ein Dummkopf und Narr.
    Ich ging allein nach Ludgate zurück und stieg müde zu meinem Zimmer hinauf. Dort, in meiner
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