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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit
Autoren: Rose Tremain
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Rosinenpudding befleckt, den ich bei meinem Heiterkeitsausbruch herausprusten mußte.
    Auch so könnte Eure Vorstellung von mir sein: Ich bei Tisch, lauthals lachend, in einem auffällig bunten Anzug, mein struppiges Haar von einer üppigen Perücke niedergehalten, meine Sommersprossen gepudert, meine Augen im Kerzenlicht schimmernd, mein Pudding herausgeprustet von jenen Kräften in mir, die sich über Dezenz mokieren und nach Narretei gieren. Es wäre zu schmeichelhaft, wenn Ihr mich für elegant oder sonst irgendwie von Wert halten würdet, und doch bin ich in diesem Augenblick, da Ihr einen Blick auf
mich werft, ein ziemlich beliebter Mann. Und ich bin mitten in einer Geschichte, die ganz verschieden ausgehen kann, wobei nicht jedes Ende ganz nach meinem Geschmack wäre. Das Durcheinander der Konstellationen, das ich durch mein Teleskop sehe, erschließt mir nicht mein Schicksal. Mit anderen Worten: Sehr vieles, was diese Welt und meine Rolle in ihr betrifft, kann ich trotz all meiner Studien ganz und gar nicht verstehen.
     
    Die Geschichte hat einen Anfang, vielleicht auch eine Vielzahl von Anfängen. Dies sind sie:
     
    1. Im Jahre 1636 führte ich im Alter von neun Jahren meine erste Leichenöffnung durch. Ich verwendete dazu folgende Instrumente: ein Küchenmesser, zwei bleierne Senflöffel, vier Hutnadeln und einen Meßstab. Der Kadaver war ein Star.
    Ich führte diese Großtat einer Untersuchung in unserem Keller durch, in den durch den Kohlenbunker ein dämmeriges Licht fiel, das ein wenig durch die beiden Kerzen, die ich auf mein Seziertablett gestellt hatte, verbessert wurde.
    Als ich in den Brustkorb einschnitt, wurde ich von einer Woge freudiger Erregung erfaßt. Diese stieg im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch an, und als ich den Körper des Stars geöffnet vor mir liegen sah, erkannte ich plötzlich, daß ich einen Blick in meine eigene Zukunft getan hatte.
     
    2. Am Caius College in Cambridge traf ich im Jahre 1647 meinen armen Freund Pearce.
    Sein Zimmer lag auch direkt am kalten Treppenhaus, unter dem meinen. Zu dieser Zeit waren wir beide Anatomiestudenten, und wenn wir auch von sehr gegensätzlicher Wesens
art sind, so hatte sich doch durch die gemeinsame Ablehnung der galenischen Theorie und unser Bestreben, die genaue Funktion eines jeden Körperteils im Hinblick auf das Ganze herauszufinden, ein Band zwischen uns gebildet.
    Eines Abends kam Pearce in einem Zustand freudiger Erregung in mein Zimmer. Sein Gesicht, sonst eher von grauer Farbe und trocken-schuppig, war gerötet und feucht, seine ernsten, grünen Augen hatten einen merkwürdigen Glanz. »Merivel, Merivel«, stammelte er, »komm in mein Zimmer! Dort steht ein Mann, der ein sichtbares Herz hat!«
    »Hast du etwas getrunken, Pearce?« fragte ich. »Hast du deinen Schwur, keinen Sherry zu trinken, gebrochen?«
    »Nein!« brach es aus Pearce heraus. »Komm jetzt und sieh dir dieses einzigartige Phänomen selbst an. Der Mann sagt, daß wir es für einen Shilling auch berühren dürfen.«
    »Sein Herz berühren?«
    »Ja.«
    »Wenn er auf Geld aus ist, dann kann es sich ja nicht um einen Leichnam handeln!?«
    »Nun komm schon, Merivel, bevor er in die Nacht entflieht und auf immer und ewig für unsere Forschung verloren ist.«
    (Ich muß hier anmerken, daß Pearce eine blumige, manchmal etwas melodramatische Sprechweise hat, die so gar nicht zu diesem angepaßten, farblosen und sich selbst verleugnenden Mann paßt. Ich denke oft, daß kein anatomisches Experiment ergründen könnte, wie die überladenen Sätze mit der ganzen, dezent gekleideten Person in Beziehung stehen, es sei denn, es ist eine allgemeingültige, wenn auch widersprüchliche Tatsache, daß Quäker zwar, was ihren Gang, ihr Gehabe und ihre Gewohnheiten angeht, monoton und schlicht sind,
daß sich in ihren Köpfen aber insgeheim eine ekstatische und närrische Sprache befindet.)
    Wir gingen also zu Pearces Zimmer hinunter, wo in dem kleinen Kamin ein Feuer brannte. Davor stand ein Mann von vielleicht vierzig Jahren. Ich wünschte ihm einen guten Abend, aber er nickte mir nur zu.
    »Soll ich das Hemd aufknöpfen?« fragte er Pearce.
    »Ja!« sagte Pearce mit vor freudiger Erwartung erstickter Stimme. »Knöpft es auf, Sir!«
    Ich sah zu, wie der Mann seinen Rock und Spitzenkragen ablegte und anfing, sein Hemd zu öffnen. Er ließ es zu Boden fallen. Auf seine Brust war eine kleine Panzerplatte gebunden, die sein Herz bedeckte. Pearce nahm jetzt ein Taschentuch aus
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