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Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten
Autoren: Bernhard Moshammer
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abgekommen. Entschuldigt bitte, ich hör auch schon auf mit den abgestandenen Geschichten, mir ist nur der Gstettner Franz wieder eingefallen. Apropos Vollidiot:
Der dritte Anschlag
    Eine Frau, was sagt ihr jetzt? Sie hieß Lieselotte Leer, war neunundzwanzig und Studentin. Sie hinterließ eine Nachricht folgenden Inhalts:
    Dies ist eine Aktion. Kein bloßes Statement. Ich habe es satt. Ich spiele euer blödes Spiel nicht mehr mit. Ich finde es zum Kotzen, dass die Hochschülerschaft sich selbst in eure parteipolitischen Farbtöpfe setzt, sich in ihnen suhlt, sich wichtig und erwachsen fühlt, wenn sie Wahlkämpfe führt und sich nach eurem Vorbild in Lügen und Versprechungen übt. Das ist Politik für Arme! Das ist die Brettspielversion eures großen, beschissenen, patriarchalischen Spiels. Nichts wird sich ändern, solange Zwanzigjährige fünfzigjährige, machtgeile, opportunistische Vollidioten nachäffen!
    Vater, dies ist der Mittelfinger der Macht!
    Ich war Lesbe. LL
    Lieselotte Leer war die Tochter des konservativen Staatssekretärs Dr. Michael Leer und ihre wahren Motive sollen rein persönlicher Natur gewesen sein. Ihr Vater hatte sich angeblich geweigert, ihr Studium noch ein weiteres Jahr zu finanzieren. Ob ihr es glaubt oder nicht, die Leserschaft begnügt sich mit solchen Erklärungen.
    Sie hat einen Teil des Audi Max der Universität Wien während einer randvoll besetzten, parteipolitischen Hochschülerschaftsveranstaltung gesprengt. Vierzehn Tote, über hundert Verletzte. Dr. Michael Leer hat sich aus der Politik zurückgezogen. Die Wiener Universitäten sind jetzt strenger bewacht als jedes Hochsicherheitsgefängnis. Die allgemeine Videoüberwachung an allen öffentlichen Plätzen und in allen öffentlichen Einrichtungen des Staates Österreich ist seit diesem Anschlag gesetzlich gedeckt und wird vom Innenministerium gefördert. Herzlichen Dank, Lieselotte!
    Jessasmarandjosef, bin ich ein Idiot! Bob hat Recht. Auf diese Idee bin ich nicht gekommen. Warum bin ich nicht auf diese Idee gekommen? Das ist doch das Naheliegendste. Ich werde einen Song schreiben! Ich schreibe dauernd Songs, ich werde heute noch diesen Song schreiben. Selbstverständlich werde ich das tun. Die Medien werden sich darauf stürzen. Das wird ein Hit! Wir werden Geld verdienen, die Sarah und ich! Ich werde sie an den Tantiemen beteiligen, dann hat sie ausgesorgt, und in ein paar Jahren wandern wir aus, nach Kanada oder Neuseeland oder so. Ich hab’s gewusst, ich hab’s immer schon gewusst, und wenn du mich sehen oder hören kannst, Lena, dann schau mich an und hör mir zu: Ich bin kein Bäcker! Hörst du? Der Cornelius wird’s nie schaffen? Ja? Ich weiß, dass du das gesagt hast! Wie hat deine blöde Serie geheißen? Und wo bist du jetzt? Ich bin hier, Lena, ich bin immer noch hier, und ich bin kein Bäcker!

4. DYLAN
    Deine Götter sind auch nur Idioten.
    Die Bedeutung eines Songs hat nie etwas mit der Intention des Schreibers zu tun. Sie ist immer pure Interpretation und jede Interpretation ist von Natur aus ein äußerst zweifelhaftes Unterfangen.
    Vergleicht es mit Lieselotte Leers Aktion, wenn auch der Vergleich mit einem Song nicht ganz schlüssig ist, aber ihre Intention war möglicherweise tatsächlich eine rein private – die Bedeutung liegt auf der Hand, und zwar auf der blutigen Hand der Öffentlichkeit. So etwas kann kein Song bewirken, zumindest nicht in Österreich. Ob das in Chile oder El Salvador funktioniert, weiß ich nicht. Möglich wär’s. Tatsache ist, dass es heutzutage viel zu viele Songs gibt. Musik lässt nur noch auf Liebhaber und Freaks den Blütenstaub des Besonderen fallen, die meisten geben sich mit künstlichen Aromastoffen zufrieden. Die Magie der Musik scheint nur auf wenige zu wirken. Wie soll sich da ein Song durchsetzen? Früher hat es eine Handvoll Bands gegeben, jeder wusste von jeder neuen Veröffentlichung, und jeder hat nach Bedeutung gesucht. Ich weiß wirklich nicht, was man heute machen muss, um im Sumpf der Millionen von Neuerscheinungen aufzufallen. Aber gut, das ist mein Problem. Und ja, eigentlich wollte ich einen Song schreiben.
    Meinen
Song.
Den
Song. Okay, was ist meine Intention? Geld, um mit Sarah auszuwandern? Sicher kein edles Motiv, aber andererseits ist das Musikbusiness ja zum ausschließlichen Business verkommen, und die Idee, meinen Song – den ultimativen Soundtrack zum Austro-Terrorismus des einundzwanzigsten Jahrhunderts – genau jetzt zu veröffentlichen,
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