Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten
Autoren: Bernhard Moshammer
Vom Netzwerk:
statt. Da bleiben die Alten im Fiesta und die Jungen hängen im Einkaufszentrum
Happy Shopping Center
herum. Ziemlich idiotisch, oder? Aber immerhin spielen die im Fiesta keine CDs von Christina Stürmer.
    »Na, Cornelius, wie geht’s der Kleinen?«
    Das ist Robert, der ewige Kellner. Es ist ihm aber lieber, wenn man Bob zu ihm sagt. Und wenn ihn keiner daran hindert, spielt er zwanzig Mal pro Abend
Like A Rolling Stone
von Dylan. Er muss ungefähr dreihundert Jahre alt sein, aber wahrscheinlich ist er gerade einmal knappe fünfzig oder so. Seit ich ihn kenne, trägt er dasselbe T-Shirt.
How does it feel?
, steht vorne drauf, in einer geschwungenen Siebzigerjahreschrift.
    »Danke, geht so.«
    »Ich weiß nicht, mir geht der Gstettner Franz nicht aus dem Kopf. Und jetzt, wo’s die Lena auch erwischt hat … scheiß Zeiten, in denen wir da leben, was?«
    »Ja.«
    »Hast du gehört, dass sie ihm jetzt doch das Grab geben? Der Pfarrer hat gesagt, dass vor Gott alle gleich sind.«
    »Ach ja? Na dann.«
    »Hast du einen neuen Song? Du hast mir immer noch nichts vorgespielt. Ich würde echt gern hören, was du so machst – ich kenn mich da aus, glaub mir.«
    »Ach, weißt du … irgendwann vielleicht.«
    »Weißt du, ich finde, du solltest aus dem, was du gesehen und erlebt hast, einen Song machen – was heißt
einen
Song, ein ganzes
Konzeptalbum
solltest du machen! Das würde funktionieren, glaub mir! Jetzt, wo dich jeder kennt.«
    »Mich kennt doch keiner.«
    »Ich sage dir: Das würde funktionieren. Hast du einen neuen Song? Du weißt, du kannst jederzeit …«
    »Ich kann jederzeit hier im Fiesta spielen, ich weiß, Bob. Danke.«
    Ich muss jetzt wieder kurz ausholen: Vor ungefähr zwanzig Jahren spielte ich im Fiesta nach nur einer Probe – ja, die in meinem Walkman konserviert ist – mein allererstes Konzert beim Faschingsgschnas der Katholischen Jungschar Bölling. Wir nannten uns
John Plissken, Captain of the Friendship
. Ich war der Sänger, aber der eigentliche Captain war der Firngruber Hansi. Schlagzeug spielte ein gewisser Gstettner Franz, was soll ich sagen. Sein Onkel war Schlagzeuger in einer spießigen Hochzeitsband und meinte, wir müssten an unserer Garderobe etwas ändern. Ich wollte ja mit nacktem Oberkörper spielen und auf meine Brust
Rock’n’Roll
schreiben, aber unser Mentor überreichte uns drei gelbe Samtpullover und sagte: Die sind perfekt.
    Ich weiß nicht mehr, ob es an unserem Unvermögen, unseren vollen Hosen oder am Genieren wegen unserer lächerlichen Bühnengarderobe lag, jedenfalls spielten wir sowohl an den Songs (
Bad Moon Rising
– wenn ich nur gewusst hätte, was diese Worte bedeuten!) als auch am Publikum vorbei. Als wir endlich fertig waren, gab es weder Applaus noch Pfiffe oder sonst eine Form von Aufmerksamkeit – der Einzige, der uns zugehört hatte, war der Pfarrer. Er weigerte sich dann auch, uns die zweihundert Schilling, die er uns für den Auftritt versprochen hatte, zu zahlen, weil wir seiner ehrlichen, kunstsachverständigen Meinung nach schlecht waren. Ich hasste ihn und wünschte ihm die Pest an den Hals. Es war dann, glaube ich, eine Gehirnblutung, die ihn ein paar Jahre später umgehauen hat, vielleicht war es auch Krebs. Ich bin danach nicht mehr in die Kirche gegangen.
    Selbstverständlich war ich Ministrant, weil jedes männliche Kind Ministrant war. Der Aspekt des Dienens hat sich mir aber nie als vordergründig aufgedrängt. Für mich zählte die prickelnde Mischung aus Bühnenpräsenz und Macht. Aus der Distanz betrachtet, kann man sagen, dass diese Jahre am Altar meine erfolgreichsten waren. Die Böllinger liebten mich. Sie wollten eine Zeit lang ausschließlich
mich
die Lesungen lesen und die Fürbitten bitten hören. Zugegeben, mein Zielpublikum waren Frauen um die siebzig, aber immerhin Frauen! Sie lächelten mich an, lehnten sich zurück, atmeten tief durch und spitzten die Ohren, wenn mein jungenhafter Sopran anhob: »Lesung aus dem Brief des Heiligen Paulus an die Galather.« Wer weiß, welche unaussprechlichen Rollen ich in ihren Träumen gespielt habe – ich werde aus Gründen des Geschmacks nicht näher auf diese Eventualität eingehen. Ich bin sicher, meine Fans haben damals ein paar Extra-Rosenkränze für mich eingelegt, als ich den Messdienst quittierte und den Weihrauchkessel gegen eine Gibson eintauschte.
    Ich habe sie alle enttäuscht. Für sie bin ich gestorben, denn der Böllinger sieht einen der seinen lieber tot als vom rechten Weg
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher