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Zeichen im Schnee

Zeichen im Schnee

Titel: Zeichen im Schnee
Autoren: Melanie McGrath
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sie zu sehr mit dem Trinken beschäftigt waren.»
    Edie setzte sich anders hin.
    «Die Frau wurde schwanger, aber sie hat es keinem erzählt. Sie wusste nicht, was sie fühlen sollte, was sie von der Verantwortung für ein Kind halten sollte, und sie wollte nicht der Tatsache ins Auge sehen, das Trinken aufgeben zu müssen. Keiner merkte, dass ihr Bauch dick wurde, weil sie an einem Ort lebte, wo die Menschen immer sehr viel anhatten. Ihr Mann merkte nichts, weil er nachts sowieso immer betrunken auf dem Sofa lag. Und dann, eines Tages, als die Frau etwa im fünften Monat war, ging sie allein zum Fischen. Es war Sommer, also nahm sie ein Boot und schlug irgendwo am Ufer ihr Lager auf. Zumindest erzählte sie allen, dass sie Fischen ging. Aber den wahren Grund hielt sie geheim, sogar vor sich selbst.
    In der ersten Nacht schlug die Frau ihr Lager auf, aber sie aß nichts, sie tat nichts anderes als zu trinken. Sie hatte sich Fusel mitgenommen. Weißt du, was das ist?»
    TaniaLee zuckte die Achseln. «Alkohol, oder?»
    «Selbstgebrannt. Ganz schlimmes Zeug. Richtig stark und gefährlich. Aber das war der Frau egal. Sie schüttete das Zeug einfach runter, bis sie ohnmächtig wurde. Dann wurde sie von schrecklichen Schmerzen geweckt. Es fühlte sich an, als hätte ihr jemand ein Messer in den Bauch gestoßen und würde ihre Eingeweide herausreißen. Es waren wirklich Marterqualen. Der Schmerz dauerte sehr, sehr lange, Krämpfe und noch mehr Krämpfe, und als es vorbei war, war es auch mit dem Baby vorbei. Einfach durch sie durchgegangen, genau wie der Schnaps.»
    Es war seltsam, es zu erzählen, zum allerersten Mal, als hätte der Wind Edie die Worte gerade erst zugetragen.
    «Was hast du gemacht?», fragte TaniaLee leise.
    «Ich habe sie begraben. Ich habe ein Loch in die Tundra gegraben und meine Tochter dort gelassen.»
    «Das tut mir leid», sagte TaniaLee.
    «Ja, mir auch. Aber weißt du was? Ich habe mich jahrelang für meine Tat gehasst, also habe ich weitergetrunken, um zu vergessen, und dafür habe ich mich noch mehr gehasst. Aber seit ein paar Wochen, seit ich Lucas im Wald gefunden habe, hasse ich mich nicht mehr. Jetzt glaube ich, es gibt manche Menschen, die sich ganz besonders viel Mühe geben, schlimme Dinge zu tun. Sie hecken Pläne aus. Ein paar von ihnen macht das sogar richtig Spaß. Aber die meisten von uns, die stolpern einfach so durchs Leben und machen Fehler. Manchmal machen wir auch besonders schlimme Fehler, aber es bleiben trotzdem Fehler.»
    TaniaLee sah sie liebevoll an, und dann sagte sie: «Kommst du mich besuchen?»
    Edie sah ihr direkt in die Augen. «Nein. Aber ein Teil von mir wird dich nie verlassen.»
    TaniaLee dachte nach. Offenbar ergab das für sie Sinn. «Stört es dich, wenn ich mit diesem Teil ab und zu rede?»
    «Ich wäre beleidigt, wenn du es nicht tun würdest.» Edie beugte sich vor. «Leb wohl, TaniaLee Littlefish.»
    «Leb wohl, Edie.»

    TaniaLees Eltern begleiteten sie vor die Tür. Es hatte unerwartet heftig geschneit, während sie drinnen gewesen waren, und der Schnee lag dick und unberührt auf dem Boden.
    «Ich fahre Sie zurück», sagte Otis und ging zu seinem Wagen voraus. Seine schlimme Hüfte sorgte dafür, dass er ein bisschen hinkte. Edie folgte seinen Fußstapfen. Für einen so großen Mann hatte Otis erstaunlich zierliche Füße. Plötzlich sah sie eine Szene auf dem Friedhof in Eagle River vor sich wie einen Flashback: Otis Littlefish und Marsha Hillingberg, ins Gespräch vertieft.
    Und da wusste sie es.
    Otis Littlefish hatte Tommy Schofield ermordet. Möglich, dass Marsha Hillingberg ihn dazu angestiftet hatte, aber er hatte auch selbst Grund genug gehabt. Er muss den Wagen an der Straße abgestellt haben und dann durch den Wald zu Tommy Schofields Hütte gelaufen sein. Dort hat er dann nach ihm gerufen. Als Tommy rauskam, muss er seinen Arbeitgeber mit vorgehaltenem Jagdgewehr zu dem Ausweidschuppen geführt und ihn an Ort und Stelle umgebracht haben. In dem Schuppen gab es sowieso alle Blutspuren der Welt. Tommy Schofields Blut ließe sich dazwischen kaum finden. Edie sah förmlich vor sich, wie er sich Tommys Schuhe angezogen hatte, rauf zum See gefahren war, raus aufs Eis ging, ein Loch aussägte, auf dem Hintern zurück ans Ufer rutschte, um keine Fußspuren zu hinterlassen, dort auf ein Paar Spielzeugstelzen stieg und zurück zur Straße lief, ohne etwas anderes als Elchspuren zu hinterlassen. Er und Marsha mussten vereinbart haben, dass sie sich um
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