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Zehn Mythen der Krise

Zehn Mythen der Krise

Titel: Zehn Mythen der Krise
Autoren: Heiner Flassbeck
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das nicht lernt, ist die Eurozone nicht zu retten.
    In der zweiten Szene, die mit der Verabschiedung des europäischen Rettungsschirmes durch den deutschen Bundestag begann, gerieren sich die Deutschen als Retter Europas, weil sie bereit sind, Milliardensummen zur Stabilisierung des Systems zur Verfügung zu stellen. »Bis hierhin und nicht weiter« (Horst Seehofer in der Süddeutschen Zeitung vom 30. September 2011) – so tönt die Begleitmusik der scheinbar heroischen Rettungstat. Auch das muss jedoch in den Untergang führen, weil ja der eigentlichen Ursache der Krise, den Ungleichgewichten bei der Wettbewerbsfähigkeit, kein Riegel vorgeschoben wird. Deutschland hilft zwar dabei, die durch die eigene Raserei entstandenen Wunden zu verbinden, denkt aber nicht im Traum daran, diese Raserei zu beenden.
    Deutschland kann seine Rolle nicht ändern, weil sich die führenden Ökonomen und Politiker von Anfang an der Realität verweigert haben. Hätte man dem deutschen Volk schon 2008 erklärt, dass es zu Unrecht innerhalb der Währungsunion um Marktanteile gekämpft und die Partnerländer so in eine nicht zu lösende Zwangslage gebracht hat, wäre man in einer sehr viel besseren Ausgangssituation. Hätte man gesagt, ja, wir haben zu viel des Guten getan, wir haben versucht, den anderen mit Gewalt Güter auf Pump zu verkaufen, die niemals bezahlt werden können, dann hätte man im deutschen Volk ein gewisses Verständnis für die Notwendigkeit, den anderen zu helfen, schaffen können. Das wäre politische Führungskunst gewesen. Wer aber tagtäglich die primitivsten Vorurteile des Boulevards bedient, muss sich nicht wundern, dass er die Geister, die er rief, nicht mehr loswird. Wer kann heute noch erklären, dass das alles ein Irrtum war? Wer kann jetzt plötzlich sagen, unsere Politiker – in drei verschiedenen Regierungen – hätten es einfach nicht besser gewusst? Wer will glaubhaft machen, dass die deutsche Industrie in ihrer Hoffnung auf leichte Beute in der europäischen Währungsunion nicht wusste, dass früher oder später die Rechnung präsentiert werden würde?
    In der dritten und letzten Szene betritt die Europäische Kommission (Ende September 2011) noch einmal mit Aplomb die Bühne und verkündet, eine solche Raserei wie die der Deutschen in Zukunft nicht mehr zulassen zu wollen. In der Tat nennt sie ihr Maßnahmenpaket großspurig »Sixpack«, vermutlich um Stärke zu suggerieren. Sie macht aber einen entscheidenden Fehler: Sie spricht nicht davon, den Kraftüberschuss, den Deutschland sich in den vergangenen zehn Jahren im Vergleich zu den anderen Ländern antrainiert hat, zu neutralisieren. Sie spricht nur über die Zukunft. Doch das genügt nicht. Die Lücke in der Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Länder muss vollständig beseitigt werden. Mit dieser schwärenden Wunde kann die Währungsunion nicht genesen, sie ist vielmehr weiterhin dem Untergang geweiht.

MYTHOS X:
»Weiter so« ist eine Option für Deutschland
    Während Europa bebt und zaudert, tritt die Weltwirtschaft in eine neue Phase ein. Seit Sommer 2011 keimt die Erkenntnis, dass eine globale Rezession nicht mehr zu verhindern sein wird. Die Konjunktur stagniert, aber die Ökonomen und ihre medialen Multiplikatoren wollen den offensichtlichen Zusammenhang zwischen der Konjunktur und den Einkommenserwartungen der Menschen nicht sehen oder gar verstehen. In den USA , in Europa und in Japan stockt die Konjunktur, weil der private Konsum stockt, denn der ist für diese großen Wirtschaftsräume – anders als für ein kleines Land wie Deutschland – der einzige Motor, auf den man setzen kann. Der Konsum aber stockt, weil die Löhne nicht steigen. Die Löhne aber steigen nicht, weil die Arbeitslosigkeit hoch ist. Mit der katastrophalen Folge, dass die Arbeitslosigkeit hoch bleibt, weil sie hoch ist, und die neoklassische, neoliberale Lehre erlebt ihren finalen Widerspruch auf globaler Ebene: Weltweit ist die Arbeitslosigkeit gestiegen, obwohl die Löhne nicht gestiegen sind, und die Arbeitslosigkeit sinkt nicht, obwohl die Löhne sinken.
    Das will die Mehrheit der Ökonomen nicht begreifen, weil es ihr Weltbild endgültig zum Einsturz bringen würde. Am deutlichsten ist der Bruch mit der Vergangenheit in den USA . Dort sind in den letzten zwanzig Jahren von Zyklus zu Zyklus die Löhne vom Tiefpunkt der Konjunktur weg weniger stark gestiegen. Seit dem Frühjahr dieses Jahres stagnieren sie nominal, und sie fallen, wenn man die Inflation
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