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Zehn Mythen der Krise

Zehn Mythen der Krise

Titel: Zehn Mythen der Krise
Autoren: Heiner Flassbeck
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reiner Interessenvertretung überlagert. Das Phänomen, dass sich Interessenverbände und an bestimmten Ergebnissen interessierte Unternehmen Wissenschaftler »halten«, die nichts anderes tun, als die Ergebnisse seriöser Forschung infrage zu stellen oder durch eigene »Forschung« zu konterkarieren, gibt es auch in anderen, stärker naturwissenschaftlich ausgerichteten Bereichen wie der Chemie. Was in anderen Bereichen allerdings fehlt, ist der »vorauseilende Gehorsam«, den auch unabhängig arbeitende Ökonomen an den Tag legen, wenn es um die Frage Markt vs. Staat geht. Die Mehrzahl der Ökonomen wird leider nicht zu Sozialwissenschaftlern ausgebildet, sondern zu Technikern, deren einzige Aufgabe im Verständnis des anscheinend perfekten Marktes und der Verteidigung desselben besteht. Es ist – und ich habe dies bereits vor Jahren dargelegt (Flassbeck 2004) – eher ein Glasperlenspiel als eine Wissenschaft. Und in diesem Spiel geht es allein und ausschließlich um die Verbesserung des Spiels selbst, nicht um Erkenntnis im Sinne einer besseren Deutung der Welt (vgl. dazu Kay 2011 und die Replik von Davidson). Da sich aber nur wirkliche Erkenntnis in erfolgreiches wirtschaftspolitisches Handeln übersetzen lässt, wären die Politiker selbst dann in fast allen Fragen ohne seriösen Rat, wenn sie überhaupt verstehen würden, wie dringend sie ihn brauchen.
    So haben wir eine wirtschaftliche Welt entstehen lassen, die auf einigen wenigen Vorurteilen aufgebaut ist wie etwa dem, dass der Markt fast alles besser kann. Diese Welt bräuchte eigentlich eine ungeheuer komplexe Regulierung, um halbwegs zu funktionieren. Bemühungen, zu einer solchen umfassenden Regulierung zu kommen, gibt es allerdings nicht, weil die herrschende Meinung in der Volkswirtschaftslehre und in der Politik fest daran glaubt, der Markt oder die Märkte würden es schon richten. Die Folgen sind dramatisch. Die Weltwirtschaft taumelt von Krise zu Krise, und die Ratschläge, die den Politikern von den »Experten« erteilt werden, sind chaotisch, sie widersprechen sich in fast jeder Facette. Die Finanzmärkte haben zwar das Kommando übernommen, wissen aber auch nicht so recht, wozu sie es nutzen sollen, außer natürlich, um die eigenen Pfründe zu sichern. Das macht die nächste Krise unausweichlich.
Die Politiker, angeführt von Juristen, dilettieren
    Weil die Ökonomen ein so vielstimmiger Chor sind, gehen die Politiker, angeführt von einer Heerschar von Juristen, dazu über, sich ihre eigene wirtschaftliche Welt zu stricken. In dieser regiert das Verfahren über die Sache und das einzelwirtschaftliche Denken, also das Denken in den Kategorien eines Privathaushalts, triumphiert über die Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge. So wurde die Eurokrise zu einer Krise umgedeutet, in der sich einige »Sünderstaaten« etwas zu Schulden haben kommen lassen (Völlerei und ausschweifendes Leben), weshalb sie nun von braven, fleißigen Richterstaaten abgeurteilt werden müssen. Auf diese Weise wurden die Schuldner von vornherein zu Schuldigen erklärt, wobei man glaubte, über die relevanten Zusammenhänge erst gar nicht sprechen zu müssen.
    Einzelwirtschaftlich gesehen, spricht in der Tat einiges dafür, dass derjenige, der hoch verschuldet ist und keinen Kredit mehr am Markt erhält, sich falsch verhalten hat und sanktioniert werden muss. Gesamtwirtschaftlich gesehen, spricht nichts dafür. Hier gibt es keine einfache Kausalität, weil das, was als »zu hohe Verschuldung« erscheint, selbst bereits das Resultat eines hochkomplexen Prozesses ist, in dem viele Einzelakteure und einige Sektoren zusammenwirken. In diesem Prozess geht es vor allem darum, einen Sektor (inklusive des Auslandes) zu finden, der bereit ist, sich zu verschulden, um zu investieren, und so die von den privaten Haushalten geplanten Ersparnisse zu rechtfertigen. Wenn beispielsweise ein Land wie Deutschland eine aggressive Politik zur Verbesserung seiner Wettbewerbsfähigkeit betreibt, werden andere Länder in die Verschuldung getrieben, weil viele einzelne Akteure in diesen Ländern deutsche Produkte auf Pump kaufen. Im ersten Halbjahr 2011 betrug der deutsche Überschuss im Handel mit den Ländern der Währungsunion immer noch 37 Milliarden Euro, was zugleich neue Kredite in dieser Höhe bedeutet. Frankreichs Defizit lag bei 18 Milliarden, das italienische bei sechs Milliarden und selbst Griechenland lag mit 1,8 Milliarden im Debit.
    Selbst wenn jeder dieser
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