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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf
Autoren: Ellen Jacobi
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1.
    Der Jaguar schnurrt. Der Asphalt flimmert. Herrlich, diese Pyrenäen.
    Wolfhart Herberger nimmt die Kurven der Passstraße in Adagio und Dreivierteltakt. Mal bergauf, mal bergab. Aus dem CD-Player perlen Klavierklänge. Der Sehnsuchtswalzer von Schubert. Nicht zu heiter, nicht zu schwer. Wundervolle Musik, wundervolles Wetter, wundervolle Fahrbahn. Wie von einem Bewegungstherapeuten entworfen, und frisch geteert ist sie auch.
    Ganz anders als beim letzten Mal, als er sich zu Fuß und mit Rucksack hier heraufgeschnauft hat. Es ist Jahre her, dass er den Jakobsweg von Anfang bis Ende gegangen ist. Siebenundzwanzig, um genau zu sein. Damals war der Camino noch nicht Mode. Kein spiritueller Sonntagsspaziergang. Nur ein maroder Fuß- und Bußweg für ein überschaubares Grüppchen letzter Katholiken und erster New-Age-Jünger, für versprengte Forschungsreisende und Freaks. Und diesen Pass hier zwischen St. Jean Pierre le Port in Frankreich und Roncesvalles im spanischen Navarra nahmen nur Fanatiker unter die Füße.
    Sie wandern mit der Aussicht auf achthundert weitere Kilometer durch Nordspanien, auf unwegsames Gelände und Wetterkapriolen, auf Kletter- und Schlitterpartien, auf Irrwege im Nebel und die linealgerade Folterstrecke durch das sengende Nichts der Meseta. Kein Reiseziel für Zimperliche, die ihr gesamtes Leben gern als sorgenfreies All-inclusive-Paket buchen und bei Regengefahr stornieren.
    Wolfhart gönnt sich einen Anflug von Veteranenstolz und milder Melancholie. Er war fünfundzwanzig. Ein Globetrotter voll Tatendrang und Wissensdurst, nebenher wild verliebt, und zwar mehrfach. Seine Beziehungen waren so offen, dass es zog. Na, dieses Kapitel hat er mit seinen reifen zweiundfünfzig Jahren abgeschlossen.
    Mit Frömmigkeit hatte er damals nicht viel im Sinn. Mit Ferien und Freizeit schon gar nicht, beides wird von Urlaubern gerne miteinander verwechselt. Frei haben oder zutiefst und in allem frei sein, das sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe.
    Der Jakobsweg ist immer noch eine Einladung, das zu begreifen. Wer sie missversteht, durchquert immerhin reizvolle Landstriche und darf seine körperlichen Grenzen austesten. So wie die wachsende Schar der rasenden Mountainbike-Pilger. Chacun a son goût – jeder nach seinem Geschmack, da ist Herberger großzügig.
    Er nimmt eine weitere Kehre. Hätte ihm vor siebenundzwanzig Jahren jemand prophezeit, dass er diese Strecke einmal im Jaguar und als Privatchauffeur einer »gnädigen Frau« angehen würde, hätte er demjenigen Prügel angedroht. Dabei ist Chauffeur gar kein schlechter Job, sondern geradezu vergnüglich.
    Versonnen lächelt er das Armaturenbrett aus poliertem Wurzelholz an. Chauffeur. Das ist mal was anderes. Genau wie sein neuer Name und der silbrige Vollbart, den er sich zugelegt hat. Er wirft einen prüfenden Blick in den Rückspiegel. Sehr distinguiert, hervorragende Tarnung. Er erkennt sich selbst kaum wieder.
    Wolfhart Herberger, wiederholt er stumm. Sein Mund zuckt kurz. Könnte sein, dass die Mission am Ende sogar Spaß macht, auch wenn ihr Ausgang ungewiss ist.
    Seinen Vor- und Nachnamen hat er so abgewandelt, dass er sich damit noch gemeint fühlen kann und beides doch anders klingt. Aus dem seltenen althochdeutschen Eckehart hat er den nicht minder seltenen Wolfhart gemacht und aus »Gast« einen »Herberger«. Der neue Nachname passt zum Camino, ist aber eher eine Verneigung vor der Fußballtrainerlegende Sepp Herberger, dem Helden seiner Kindheit.
    Als Wolfhart gefällt er sich ganz gut. Das klingt genau wie Eckehart – zu neudeutsch der »Schwertstarke« – ritterlich und kantig zugleich. Er hat als Junge nicht nur gern Konservendosen gegen Garagentore gekickt, sondern auch Sigurdhefte verschlungen, später dann die Artussagen und alle großen Heldenepen. Von Abenteuern hat er immer geträumt und nicht schlecht davon gelebt, auch wenn es phasenweise verdammt anstrengend war und mitunter lebensgefährlich.
    Vielleicht sollte er sich, wenn diese Spaniengeschichte erledigt ist, auf Dauer einen zweiten Namen zulegen. Wäre finanziell nicht uninteressant. Er könnte sich dann endlich mit schweren Verbrechen, vielleicht sogar Morden beschäftigen. Das liegt ihm sicherlich. Herberger grinst verwegen. Nichts Blutrünstiges. Nein. Hübsche kleine, elegante, gut durchdachte Morde. Schmerzlos, aber äußerst raffiniert. Würde ihm guttun, zur Abwechslung mal mit der gebotenen intellektuellen Akribie und viel Fingerspitzengefühl Menschen
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