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Zehn Mythen der Krise

Zehn Mythen der Krise

Titel: Zehn Mythen der Krise
Autoren: Heiner Flassbeck
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stagnierte, war die Auslastung der Kapazitäten insgesamt schwach, so dass sich Steigerungen der Sachinvestitionen im Inland sowie die damit verbundene Verschuldung des Unternehmenssektors nicht mehr in gleichem Maße wie früher rechneten und daher unterlassen wurden. Die jahrelang von Unternehmerseite beschworene, von Wirtschaftswissenschaftlern gestützte und von Wirtschaftspolitikern zur allgemeinen Handlungsanleitung gemachte These, Unternehmen müssten zuerst und über einen längeren Zeitraum satte Gewinne machen, bevor sie zu einer verstärkten Investitionstätigkeit bereit seien, hat sich als völlig haltlos herausgestellt. Das ist kein Wunder, denn die conditiones sine quibus non jeder Sachinvestition sind eine gute aktuelle Auslastung und positive Absatzaussichten.
    Zudem ist der Exporterfolg nicht nachhaltig, weil die Nachbarn – vor allem in einer Währungsunion – irgendwann nicht mehr bereit oder in der Lage sind, ihre außenwirtschaftlichen Defizite weiter zu erhöhen. Diese Zeit der Abrechnung ist jetzt gekommen, da selbst Deutschland darauf drängt, die anderen müssten ihre Schulden abbauen und zu diesem Zweck ihre Löhne relativ oder sogar absolut senken. Das wird aber – an diesem Punkt ist die Logik unerbittlich – zulasten der deutschen Außenhandelsüberschüsse gehen, weil kein Akteur Marktanteile gewinnen kann, wenn alle anderen ihre behalten, genau wie niemand Defizite abbauen kann, wenn alle ihre Überschüsse verteidigen wollen. Die europäische Wirtschaft wird jedenfalls nicht im Handel mit Dritten, etwa den asiatischen Staaten, so hohe Überschüsse erzielen können, dass die europäischen Defizitländer ihre Schulden gegenüber ihren europäischen Partnern bezahlen können, denn diese Länder haben alle eigene Währungen, die sie nutzen werden, um sich einem solchen Wettbewerb nicht stellen zu müssen.
    Das wiederum bedeutet zwingend, dass Deutschland zu einem Wirtschaftsmodell zurückkehren muss, das darauf beruht, dass sich die Unternehmen verschulden, weil sie in der Erwartung kräftig steigender Nachfrage Gewinne erwarten, und nicht, weil sie, ohne eine positive Nachfrageperspektive, die Taschen voller Gewinne haben. Das wiederum läuft ebenfalls darauf hinaus, dass die Löhne in Deutschland kräftig steigen müssen – und zwar nicht nur für ein Jahr, sondern über viele Jahre, nämlich genau so lange, bis die anderen Länder ihre unhaltbare Situation überwunden und die Unternehmen im deutschen Binnenmarkt wieder Mut zum Investieren gefasst haben. Zudem muss der Staat seine Steuerpolitik radikal ändern und die Unternehmen mindestens in gleichem Maße wie Privatpersonen an der Finanzierung der gesellschaftlichen Aufgaben beteiligen.

SCHLUSSWORT
Ökonomische Krisen und ihre politischen Folgen
Die Ökonomen haben eine Welt geschaffen, die sie nicht verstehen
    Seit wir Menschen von den Bäumen hinuntergeklettert sind, versuchen wir, die Welt, die uns umgibt, zu verstehen. Was die Deutung der Natur anbelangt, sind wir dabei ein gutes Stück vorangekommen. Wir haben uns von alten Mythen gelöst und uns eine wissenschaftliche Sicht auf die Dinge angeeignet, die der Rationalität und der Logik den Vorrang vor Glauben und Gefühlen einräumt. Gerade der konsequente Einsatz der Logik hat sich als überlegen erwiesen, wo es um das Verstehen der Welt und die optimale Anpassung an deren sich permanent wandelnde Gegebenheiten geht. Nur wer über das Mittel der Logik verfügt, kann aus beliebig vielen nichtssagenden oder sich widersprechenden Aussagen über die Welt diejenigen herausfiltern, die aussagekräftig, weil widerspruchsfrei und empirisch überprüfbar sind.
    Der entscheidende Schritt zur Erkenntnis ist tatsächlich das Erkennen von Zusammenhängen, die sich mit einer gewissen Stabilität in der Wirklichkeit beobachten lassen und schließlich preisgeben, warum sie existieren. Dass der Apfel regelmäßig vom Ast auf den Boden fällt, anstatt in den Himmel zu fliegen, ist lediglich der erste kleine Schritt auf dem Weg zu weiteren tragfähigen Schlussfolgerungen. Erst die folgenden Schritte – die Entdeckung der Kraft, die den Apfel bewegt, unsere Fähigkeit, die Existenz dieser Kraft zu beweisen, so dass andere Erklärungen eliminiert werden können – schaffen wirkliche Erkenntnis.
    In der so genannten Wissenschaft von der Ökonomie ist das anders. Hier wird der Versuch, zur Erkenntnis zu gelangen, immer wieder und immer wieder erfolgreich von Glauben, von Ideologie und von
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