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Zehn Mythen der Krise

Zehn Mythen der Krise

Titel: Zehn Mythen der Krise
Autoren: Heiner Flassbeck
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Käufe auf Pump vollkommen seriös und wirtschaftlich gerechtfertigt ist, kann das Ergebnis für das sich verschuldende Land katastrophal sein. Es ist einer schleichenden Erosion seiner Wirtschaftskraft ausgesetzt, deren fatale Folgen sich, wie bei der geologischen Erosion auch, erst zeigen, wenn der große Regen in Form einer Finanzkrise kommt. In einer solchen Krise werden nämlich von den Anlegern alle bestehenden Investitionen einer Neubewertung unterzogen und riskante Anlagen werden dann von vornherein weitgehend gemieden.
    Die A-priori-Verurteilung der Schuldner hat fatale Auswirkungen auf das Zusammenleben der Nationen. Zum einen werden die Schuldner in Zukunft jeder Form der internationalen Zusammenarbeit skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, weil sie zu Recht den Eindruck haben, ihnen werde von außen ein durch nichts gerechtfertigtes Diktat aufgezwungen, das ihre Souveränität beschädigt und sie in eine neoliberale Programmatik zwingt (dies geschieht meist über die berühmt-berüchtigte »conditionality« des IWF , die vorwiegend aus der »Flexibilisierung« und Öffnung aller Märkte besteht). Dadurch werden die politischen Systeme der Schuldnerstaaten auf eine unerträgliche und auf Dauer tatsächlich untragbare Weise überspannt. Der in allen Fällen geforderte Abbau der Staatsdefizite zieht natürlich gerade die Teile der Bevölkerung in Mitleidenschaft, die solche Einschnitte am wenigstens verkraften können. Die Löhne der Staatsbediensteten werden gekürzt, weil man nur da direkten Zugriff hat. Sektoren, die dem internationalen Wettbewerb gar nicht ausgesetzt sind, werden liberalisiert (die Strom- und Energiewirtschaft in Argentinien z. B.), Branchen, die noch dem Staat gehören, werden privatisiert. Das alles steht jedoch in keinerlei Zusammenhang mit den Ursachen der Krise und wird verständlicherweise von den Betroffenen als reine Willkür empfunden. Auf diese Weise wurden in den achtziger und neunziger Jahren fast alle Bevölkerungen Lateinamerikas zu entschiedenen Gegnern des Internationalen Währungsfonds ( IWF ), die Menschen wählten dort systematisch linke Regierungen, um sich diesem Diktat zu entziehen.
    Das alles ist nicht neu und vielfach aufgearbeitet worden, sogar vom IWF selbst. Die europäischen Politiker hat das jedoch nicht gehindert, sich mit Verve auf genau jene Programmatik zu stürzen, mit welcher der IWF zuvor so häufig gescheitert ist. Wie kann es sein, dass die politischen Führungskräfte eines ganzen Kontinents, Akteure, die seit Jahr und Tag im Währungsfonds die Verantwortung tragen, nun in ihrer eigenen Region die gleichen Fehler machen, die diese Organisation – vor der aktuellen Krise – an den Rand der Bedeutungslosigkeit geführt haben? Nun, so etwas kann nur dann geschehen, wenn man bewusst auch die eigene Region ins Chaos treiben will, um als endgültiger Sieger aus dem Wettkampf der Nationen hervorzugehen – oder wenn man wirklich nicht verstanden hat, was tatsächlich passiert ist, und wenn einem die ideologische Offenheit fehlt, um es überhaupt verstehen zu können. Ich neige der zweiten Erklärung zu.
Die Menschen verzweifeln an der Globalisierung, und die Demokratie ist in höchstem Maße gefährdet
    An diesem zwischenstaatlichen Versagen kann man unmittelbar erkennen, dass es nicht nur der direkte Druck der Lobbyisten ist, welcher die Politik systematisch und immer wieder auf die falsche Spur bringt. In diesen zwischenstaatlichen Beziehungen gibt es ja kaum direkte Geschäftsvorteile, die durch eine neoliberale Agenda der Gläubiger befördert würden. Privatisierung ist sicher eines der Felder, auf dem multinationale Unternehmen massive Interessen haben. Die Kürzung staatlicher Leistungen für die Ärmsten hingegen, und zwar bis zu dem Punkt, an dem die Wirtschaft des Schuldnerlandes in die Knie geht, kommt ja auch den Unternehmen nicht zugute. Werden schließlich – wie in Lateinamerika – im Gefolge der überzogenen neoliberalen Agenda linke Regierungen gewählt, hätten die Lobbyisten genau das Gegenteil dessen erreicht, was sie anstreben.
    Nein, es ist das mangelnde Verständnis des komplexen Systems der globalen Ökonomie, das bis weit in die Linke hinein das permanente Versagen der Politik erklärt. Wir haben nicht die Politiker, die Politik in der globalen Ökonomie machen könnten, und wir haben nicht die Ökonomen, die in der Lage wären, ein Design für diese globale Ökonomie zu entwerfen. So wurschtelt sich die Weltwirtschaft in
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