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Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten

Titel: Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
Autoren: Robin Hobb
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einen Silbernen zu erobern, werden wir sie nutzen. Das verspreche ich euch. Aber wir dürfen unsere Wanderung nicht unterbrechen, um sie zu suchen. Ruht wohl, Maulkins Knäuel, denn morgen schwimmen wir weiter.«
    Morgen, dachte Shreeva, während das Knäuel sich neu formierte und wieder verankerte. Es gibt noch ein anderes Morgen, das auf uns wartet. Sie klappte die Lider vor ihre Augen, um sich vor dem Schlick zu schützen, und gab sich wieder ihren Träumen von Schwingen hin.
    Sie war verkrüppelt, und sie würde niemals so elegant schwimmen können, wie ein Drache flog, der einen Aufwind nutzte. Sie war zu lange eingesperrt gewesen und hatte unter zu schlechter Nahrung gelitten. Sie konnte ihren Körper nicht einmal zu ihrer vollen Länge ausdehnen, so verkümmert war er. Sie war schwer und dick, wo sie eigentlich schlank und muskulös hätte sein sollen. Vielleicht hielt das für immer an, vielleicht war es hoffnungslos.
    Aber zweifellos war sie frei.
    Sie hatte die Missgestalten, die sie eingesperrt hatten, ohne Reue oder Bedenken abgeschlachtet. Sie würden niemals mehr eine andere junge Schlange so quälen können, wie sie sie gequält hatten. Sie wünschte sich, dass sie sie immer und immer wieder töten könnte, ohne Ende, und für immer Befriedigung daraus ziehen könnte. Doch noch während sie sich das wünschte, erkannte sie darin eine der Deformitäten, mit denen sie sie geschlagen hatten. Sie versuchte, den Gedanken auszumerzen.
    Sie hatte die kleinen Zweibeiner in dem Ruderboot gesehen und war ihm beschützend gefolgt, bis sie von einem größeren Boot aufgenommen worden waren. Der Geruch des Schiffes hatte sie beunruhigt. Es roch wie eine Schlange und war doch keine. Mehr noch, es roch wie Eine, die sich erinnert, und war dennoch ein seelenloses Ding, das ihr nicht antwortete. Sie wollte nicht darüber nachdenken, wie das sein konnte. Die Antworten konnten in der Erinnerung des Jungen verborgen liegen, dessen Wissen sie so kurz geteilt hatte. Sie spielte mit dem Gedanken, dem Schiff eine Weile zu folgen und das alles herauszufinden.
    Aber ein größerer Drang lockte sie. Nach all den Jahreszeiten ihrer Gefangenschaft hatte das Schicksal sie jetzt befreit. Ihr war bestimmt, eine Führerin ihrer eigenen Art zu sein, und doch war sie hier, nah an dem Strand, an dem sie geschlüpft war. Sie war nicht mit ihnen gereist, sie hatte nicht mit ihnen gefressen und war nicht mit ihnen gewachsen, wie sie es eigentlich hätte tun sollen. Doch so gekrümmt und verwachsen sie auch sein mochte, sie verfügte doch über etwas, das lebenswichtig für die anderen war. In ihren Drüsen und Giften ruhte das uralte Wissen ihrer Spezies. Sie musste es mit ihnen teilen, bevor sie den Fluss emporschwärmten, um ihre Veränderung zu beginnen. Während sie sich mühsam durch das Wasser schlängelte, bezweifelte sie, dass sie allein diese anstrengende Reise den Fluss hinauf bewältigen konnte. Dennoch würde sie die anderen suchen und ihnen die Erinnerungen geben, die sie bewahrte.
    Sie tauchte kurz in die Leere auf und schmeckte den frischen, salzigen Wind. Auf dem Deck des silbernen Schiffes schrie ein Mann bei ihrem Anblick auf. Sie tauchte wieder unter und fasste einen Entschluss. Das silberne Schiff segelte offenbar zu den Inseln zurück. Hinter den Inseln lag das Festland und dahinter die Mündung des Flusses, der zu den Kokongründen führte. Das war ihr Ziel. Sie würde bei dem silbernen Schiff bleiben, so lange ihre Wege sie in dieselbe Richtung führten. Vielleicht konnte sie hier etwas in Erfahrung bringen. Außerdem faszinierten sie diese kleinen, denkenden Kreaturen auf dem Schiff.
    Sie würde sie studieren. Wenn sie schließlich zu denen stieß, die von ihrer eigenen Art noch übrig waren, konnte sie auch eigene Erinnerungen mit ihnen teilen. Damit konnte sie ihrer Art trotz ihres Lebens in Gefangenschaft wenigstens das eine bieten. Die, die sich erinnert, tauchte tief ab und versuchte, ihre verkrüppelten Muskeln zu strecken. Als sie wieder fast bis zur Oberfläche aufstieg, schwamm sie in die Position, in der das Kielwasser des Schiffes sie beinahe mühelos hinterherzog und ihr so das Schwimmen erleichterte. Sie machte es sich darin bequem und schwamm ihrer Bestimmung entgegen.

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