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Yolo

Yolo

Titel: Yolo
Autoren: Gisela Rudolf
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armseligen Erklärungsversuchen brachte ich nichts zustande. Als Mathematiker ohne Affinität zur Psychologie und kalt gegenüber irrationalen, für ihn unlogischen Gefühlen würgte er ein liebevolles Gespräch ab.
    Schließlich standen wir auf dem Bahnsteig.
    Nach einer langen Umarmung sagte er zu mir: »Deine Zukunft ist offen, dir steht so vieles noch bevor, du kannst alles Wünschenswerte erreichen, ti amo!«
    Zu behaupten, ich sei in die Klinik
heimgekehrt
, widerspricht selbstverständlich jeder Realität. Sogar
Rückkehr
ist übertrieben. Ich
ging
an jenem späten Sonntagabend zurück, wie man an irgendeinen beliebigen Ort geht. Ging vom Taxi über den beleuchteten Platz zum Haupteingang und weckte den Nachtportier, der mir so kurz vor Mitternacht ein bisschen leid tat. Er öffnete verschlafen, aber wach genug, seiner Pflicht nachzukommen und den zuständigen Arzt zu benachrichtigen. Es war eine Frau. Ich hatte sie aus dem Bett geholt, entsprechend eilig hatte sie es, wieder dorthin zurückzukommen. Sie wusste Bescheid über mich, erkundigte sich nach meinem Befinden, »sehr gut, nur müde«, worauf sie die erfreuliche Nachricht mit einem mütterlichen Gutenachtwunsch quittierte.
    Auf meinem Bett lag eine Notiz der Rezeption:
Bitte zu Hause anrufen
, darunter Christians Nummer.
    Christian, du bist nicht mein Zuhause.
    Noch vor dem Frühstück konnte ich mich bei Moeller zurückmelden: Wir kreuzten uns zufällig in der Eingangshalle – ich fand ihn gar nicht unsympathisch. Bis ich ihm eine Stunde später wieder gegenübersaß. Zwischen uns sein imposantes Pult.
    »So?«
    Ich schwieg, obwohl Fragezeichen hinter dem kurzen Wort umherwirbelten.
    »Und?«
    »Nun, da wäre ich wieder.«
    »Wie fühlen Sie sich?«
    »Gesund.«
    »Das geht ja bemerkenswert schnell bei Ihnen.«
    »Sie meinen, ich entspreche nicht der Norm?«
    Feinfühliger, als ich angenommen hatte, ging er auf den Ausdruck ein, und wir diskutierten eine Weile über das Normale und Anormale. Ich fühlte mich zunehmend als gesunder Mensch bestätigt, was er spüren musste. Mag sein, dass genau dies zum Abschlusstest einer psychotherapeutischen Behandlung gehört, jedenfalls versuchte Moeller, mich ein letztes Mal kleinzukriegen: »Alles gut verheilt?«
    »Nun, gewisse Wunden brauchen wohl ihre Zeit. Aber ohne diese lähmende Last der Schuld …«
    Ich sprach von Sonja, aber Moeller meinte – das merkte ich, als er mich unterbrach – etwas ganz anderes: »Sie können mir also versprechen, nie mehr so eine Dummheit zu begehen.«
    Weil ich ihm nicht sofort folgen konnte, redete er weiter: »Man kann ja seine Verzweiflung auch noch anders kundtun, als sich gleich wie ein Teenager die Adern aufzuschneiden. Querschnitte eignen sich dazu übrigens wenig. Aber als Hilfeschrei wird das durchaus wahrgenommen, wie Sie ja selber festgestellt haben.«
    Ich konnte seinen Ausdruck nichts Bekanntem zuordnen: bodenloser Sarkasmus oder die Einsicht eigener Grenzen? Jedenfalls bewies ich mir mit meiner beherrschten Reaktion, dass ich wieder ich selber war: »Sie haben Recht, Herr Moeller, ich habe hier viel gelernt. Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung und möchte mich somit verabschieden.«
    Auch nach meinem Wiederauftauchen an jenem Montagmorgen blieb DeLauro zurückhaltend. Im Gegensatz zu den anderen beiden Tischgenossen; vermutlich erhofften sie sich durch bohrende Fragen spannende Unterhaltung. Penetrant kamen sie immer wieder auf mein
urplötzliches Verschwinden
zu sprechen. An diesem Ausdruck bissen sich Kroner und Tanja regelrecht fest.
    Amüsant fand ich das alles erst beim Nachtessen. Ein süffiger Wein brachte mich in Stimmung, ich bot der Runde ein kurzweiliges Resümee, das unvorbereitet aus mir heraussprudelte: »Also, ich habe in diesen drei Tagen endlich wieder Italien, das Land meiner Träume, besucht. Ich bin in der Toscana herumgereist und war natürlich in Florenz. Dabei bin ich mal auf dem Polizeiposten gelandet und mal im Bett meiner ersten großen Liebe. Im Zug habe ich mich in einen Musiker verknallt, der allerdings nicht der Grund dafür ist, weshalb ich meine langjährige Partnerschaft beendet habe.«
    Die Geschichte war für sie nicht glaubhaft, aber erheiternd. Gleichwohl verbreitete sich am Tisch eine gewisse Unsicherheit, und ich konnte mir vorstellen, was sie sich vorstellten: Elektroschocks vielleicht oder Dauerschlaf. Weshalb sonst hätte ich plötzlich so anders gewirkt?
    Bevor ich ins Zimmer ging, fragte ich an der Rezeption
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